Als nächstes China?

Wohl eher nicht. Soziale Unruhe hält sich in Grenzen und hat einen weniger verzweifelten Charakter

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Die arabische Revolution, die Al Jazeeras aus naheliegenden Gründen lieber die afrikanische Revolution nennen möchte, scheint ja selbst in den USA manchen zu inspirieren, und man fragt sich, wann der Funke nach Südeuropa überspringt. Italiener hätten sicherlich eine Menge Gründe, ihrem dortigen Gaddafi-Freund ein wenig Feuer unter dem Hintern zu machen. Und in Griechenland hat sich der Unmut über den u.a. von Deutschland aufgezwungenen Austeritätskurs noch lange nicht gelegt. Für den morgigen Mittwoch ist der nächste Generalstreik angesetzt.

Nicht ganz abwegig ist auch der Gedanke, der Funken der Rebellion könnte auf andere autoritär-regierte Staaten wie etwa China überspringen. Entsprechend zurückhaltend haben die dortigen englischsprachigen Medien wie Xinhua oder Global Times bisher berichtet. Allerdings unterscheiden sich die Verhältnisse in der Volksrepublik in einigen wesentlichen Punkten von der Situation in den arabischen Ländern.

Zwar gibt es mehr oder wenig täglich irgendwelche örtlichen sozialen Proteste, und der Unmut über Fabrikbesitzer, Immobilienfirmen, lokale Behörden und Ähnliches ist oft sehr groß. Nicht selten nehmen die Auseinandersetzungen auch sehr handfeste Formen an. Aber im Gegensatz zur arabischen Welt gibt es keine Massenarbeitslosigkeit und angesichts von jährlichen Wachstumsraten um die zehn Prozent wohl auch nicht das weitverbreitetes Gefühl von Stillstand und Perspektivlosigkeit, das in den arabischen Ländern die Menschen antreibt.

Deutlich wird dies auch an jüngsten Meldungen über steigende Löhne und Arbeitskräftemangel in der Volksrepublik, Meldungen wie sie bereits seit einigen Jahren immer wieder auftauchen. In 2010 sind die Löhne und Gehälter im unteren zweistelligen Bereich gewachsen, und für dieses Jahr ist das gleiche zu erwarten. Die Provinz Guangdong wird nächsten Monat zum Beispiel den Mindestlohn, der in den letzten Jahren mehrfach angehoben wurde, erneut um 18 Prozent erhöhen.

Kleinere Hersteller haben inzwischen Schwierigkeiten, genug Arbeitskräfte zu finden. Das hat auch damit zu tun, dass die nachwachsenden Generationen, die auf den Arbeitsmarkt drängen, dank der Ein-Kind-Politik deutlich kleiner werden. Das führt dazu, dass Chinas Arbeiterinnen und Arbeiter wählerisch werden können und die besseren Angebote größerer Unternehmen vorziehen. Auch sind sie nicht mehr so leicht bereit, hunderte Kilometer von ihren Heimatdörfern unter kasernierten Bedingungen und schlechter Bezahlung zu leben.

Das soll nun nicht heißen, dass in China keinerlei sozialer Sprengstoff auf der Straße herum läge. Im Gegenteil: Bisher haben zum Beispiel die Bemühungen, die wachsenden Einkommensunterschiede etwas auszugleichen, wenig gefruchtet. Kaum anzunehmen, dass das auf Dauer gut gehen wird. Hinzu kommt aktuell eine drohende Verteuerung der Lebensmittel, hervorgerufen vor allem durch eine der schlimmsten Dürren seit Jahrzehnten. Allerdings ist Chinas politische Führung mit Sicherheit erheblich beweglicher als die erstarrten Regime Arabiens und hat zudem ganz andere ökonomische Mittel zur Hand, die Wogen gegebenenfalls durch Subventionen ein wenig zu glätten.

Eine andere Frage ist allerdings, was die wachsenden chinesischen Löhne und die ebenfalls rasch steigenden Kosten für die Rohstoffe, die Chinas Exportindustrie verarbeitet, für jene Schichten in den Industrieländern bedeuten, die bisher trotz bescheidener Einkommen einigermaßen über die Runden kommen, weil sie in den Läden nach den Billigprodukten made in China greifen können...