Antiamerikanische Botschaften von der anderen Front

Die Anschlagserie in Pakistan

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Erneut ein Anschlag in Pakistan, erneut eine gezielte Aktion, die einem wichtigen Funktionsträger galt und ein Blutbad unter der Zivilbevölkerung anrichtete: 27 Tote melden die Berichte über einen Selbstmordanschlag, der in der Nähe eines belebten Marktplatzes des Ortes Dera Ghazi Khan stattfand. In unmittelbarer Nähe des explodierenden Autos befindet sich nach Angaben der pakistanischen Zeitung Dawn das Haus des ranghöchsten Beraters des Chefs der Provinzregierung Punjab, der sich glücklicherweise zu diesem Zeitpunkt nicht dort aufhielt.

Die Botschaft des Anschlages ist die klassische Terrorbotschaft: Wir können überall zuschlagen und wir können die empfindlichsten Ziele des Staates treffen, ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung. Mehr als 500 Menschen wurden in Pakistan seit Oktober Opfer solcher Anschläge, die nun immer öfter auch im östlichen Teil des Punjab passieren. Die Anschlagserie, die pakistanische Medien vom blutigsten Jahr in der Geschichte des Landes sprechen lassen, weist auf ein Charakteristikum des asymmetrischen Krieges hin, wie man es beispielsweise aus den Anfängen des Kriegs im Irak gegen die "Insurgency" kennt.

Ein bestimmtes Gebiet, das als Hochburg der Aufständischen gilt, wird mit einer seit Wochen angekündigten Großoffensive "gestürmt", die Guerillaverbände meiden die Konfrontation mit den besser gerüsteten Staatsstreitkräften, ziehen sich zurück, fliehen, zerstreuen sich und schlagen woanders zu. Im Falle Pakistans haben sich die militanten Gruppen dabei Ziele ausgesucht, die für großes Aufsehen sorgten, weil sie neuralgische Punkte trafen - militärische, gut abgesicherte Zentren, wichtige Funktionsträger - und dabei ihrem Gegner schmerzliche Verluste zufügten. Als ein Beispiel unter mehreren sei nur der Anschlag vom 4.Dezember, einem Freitag, auf eine Moschee in der Garnisonsstadt Rawalpindi genannt, bei dem Elite-Militärs sowie deren Familienangehörige getötet wurden. Wenige Wochen zuvor hatten Aufständische schon einmal demonstriert, dass sie in das militärische Hauptquartier der Stadt eindringen konnten.

Die Anschlagsserie, die Medien wie Politiker in jüngster Zeit immer öfter als existenzielle Bedrohung des Staates begreifen, wird zunächst aus einem Vergeltungsmotiv erklärt. Der Krieg gegen die Taliban in Südwaziristan und zuvor in Swat und anderen Gebieten im Grenzland wird als erste Begründung herangezogen, Bekennerschreiber der Attentäter bestätigen das "Rachemotiv". Doch gehen die Analysen der pakistanischen Medien mittlerweile tiefer. Gesucht wird nach Ursachen und Entstehungsgründen des chaotischen Status Quo, in dem militante Gruppen und extremistische Auslegungen des Islam derart operieren können. Hervorgehoben werden dabei zum einen die Rolle der USA und innere Kräfte, die diese Entwicklung begünstigen.

Dass die USA Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre Pakistan "fallen ließen", nachdem der von ihnen geförderte Mudschahedin-Krieg gegen die Sowjetunion in Afghanistan aus Sicht der Amerikaner erfolgreich beendet wurde, wird der Supermacht in der Bevölkerung und maßgeblichen Kreisen noch immer angelastet. Das Bündnis zwischen dem früheren Präsidenten Muscharraf und Bush im Namen des Anti-Terrorkampfs wird von vielen ebenfalls als gegen die ureigenen Interessen Pakistans gerichtet empfunden. Dazu kommt die religiöse Bewertung, die Neigung, den Konflikt zwischen den USA und den militanten Taliban als Konflikt zwischen Islam und dem Westen zu bewerten.

Laut Hintergrundberichten ist der überwiegende Teil der pakistanischen Mittelklasse gegen die USA, gegen Demokratie und für eine Schule des Islam, die sich an der buchstäblichen Auslegung orientiert (dem wird eine traditionelle Elite, die politische Klasse von Großgrundbesitzern, Clan-und Stammesführern gegenüber gestellt, die auch Sympathien für den weniger orthodoxen Islam hat, wie man ihn im Sufismus findet). Die wahabistische Version des Islam breitet sich in Pakistan seit General Zia, seit der saudischen Förderung der Ausbreitung des Islam in dieser Region und durch die pakistanischen Wanderarbeiter, die in den Golfstaaten arbeiteten, unter günstigsten Bedingungen weiter aus. Das dürfte das Konfliktfeld, das sich gegen die enge Zusammenarbeit mit den USA schon aufgebaut hat, in der nächsten Zeit weiter verstärken. Zumal die islamischen Schulen, die der strengeren Lehre folgen, für viele Jugendliche einen großen Anreiz bieten - umso mehr als die wirtschaftliche Entwicklung des Landes, das mit der Bevölkerungsexplosion nie zurechtgekommen ist, keine guten Zukunftsaussichten verspricht.