Atommüll auf dem Weg ins Wendland

Alle Jahre wieder: Gegen den Widerstand vieler Tausend Demonstranten und gegen den Willen der Mehrheit der Anwohner soll Atommüll nach Gorleben gebracht werden

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Die Castoren rollen mal wieder. Am Mittwoch wurde einen Tag früher als erwartet im französischen La Hague ein neuer, für das Zwischenlager im niedersächsischen Gorleben bestimmter Atommülltransport auf den Weg geschickt. Elf der Spezialbehälter sind es diesmal.

Der Müll kommt aus einer an der französischen Kanalküste gelegenen sogenannten Wiederaufbereitungsanlage. In Frankreich wird sie allerdings etwas weniger orwellesk Plutoniumfabrik genannt, denn ihre wichtigste Aufgabe ist es, abgebrannten Brennelement das hochgiftige Element zu entziehen, an dem besonders seine langlebigeren radioaktiven Isotope interessieren. Plutonium lässt sich als Mischoxid in AKW einsetzen, ist aber auch als Grundstoff für Atombomben begehrt, was die ursprüngliche Motivation für die Errichtung dieser Anlagen gewesen sein dürfte. Die abgebrannten Brennelement stammen übrigens aus Deutschland, das so seinen Beitrag zur Verbreitung von Atomwaffen leistet. Aber die sind ja bekanntlich nur Teufelszeug, wenn sie sich in den Händen der falschen Leute befinden.

Wie dem auch sei, in diesem Jahr gab es auch in Frankreich heftigen Protest gegen den Transport, mehr als je zuvor, denn auch beim Nachbarn ist die Atomkraft nicht mehr unumstritten. Die Zeitung Liberation schreibt von 5.000 Demonstranten. Zum Teil ist es dabei wohl recht ruppig zugegangen. Peter Bachstein, Pressesprecher der Kampagne Castor? Schottern! Meint dazu in einer Presseerklärung: „Wir erklären uns solidarisch mit den französischen Aktivisten und protestieren auf das Schärfste gegen ihre Kriminalisierung und den unverhältnismäßigen Polizeieinsatz gegen das französische Protestcamp.“

"Vor dem Hintergrund der Fukushima-Katastrophe kann kein Mensch verstehen, warum ohne jegliches Entsorgungskonzept weiterhin hochgefährlicher Atommüll hin- und herkutschiert wird. Einerseits soll jetzt wieder gegen den Willen der Bevölkerung ein Castor-Transport nach Gorleben rollen. Auf der anderen Seite wird in großen Mengen Uranmüll von der einzigen deutschen Urananreicherungsanlage nach Frankreich geschafft", kritisiert BBU-Vorstandsmitglied Udo Buchholz.

Auch das bayrische „FORUM Gemeinsam gegen das Zwischenlager und für eine verantwortbare Energiepolitik e.V.“ weist auf die ungelöste Endlagerproblematik hin. Allein im AKW Gundremmingen seien seit der ersten Inbetriebnahme 1966 1.600 Tonnen hoch radioaktiver Müll erzeugt worden. Der muss nun „wegen seiner nur langsam abklingenden tödlichen Strahlung rund 1 Million Jahre vom Lebensbereich der Pflanzen, Tiere und Menschen isoliert werden. Allen Versprechungen zum Trotz ist bis heute kein Kilo entsorgt worden. Alles nur hin- und hergeschoben und zwischengelagert worden.“

Im Wendland gilt derweil wie in den Vorjahren schon ein großflächiges Versammlungsverbot. Eines der Protestcamps, und zwar das in Dumstorf, wurde gar vollständig verboten, weil es auch von Teilnehmen der Schotter-Kampagne genutzt werden könnte und den Behörden zu dicht an der Bahnstrecke lag. As Begründung für das Verbot wurde vor allem eine entsprechende Empfehlung der Kampagne angeführt. Der Versuch, das Verbot gerichtlich anzufechten, scheiterte. In einer Erklärung der Organisatoren heißt es, dass von ihnen verlangt wurde, sich um einen Ersatzplatz in mindestens vier Kilometer Abstand zur Bahnstrecke zu suchen, auf der der Atommüll anrollen soll.

Jens Magerl, Pressesprecher der Kampagne WiderSetzen meint dazu:

„Die Gefahr für unser Land besteht nicht im Entfernen einiger Schottersteine, sondern in der systematischen Demontage grundlegender Freiheitsrechte. Jahr für Jahr wird unser Recht auf Versammlungsfreiheit und Meinungsäußerung zu Gunsten privater Müllfirmen eingeschränkt. Legislative und Exekutive greifen zu unverhältnismäßigen Mitteln. Ob Campverbot oder pauschaler Einsatz von Kampfgas: Betroffen ist immer auch unsere Demokratie. Zur Stärkung der Gesundheit der Demokratie sind besonders in den nächsten Tagen massenhafte Aufenthalte an der frischen Luft zu empfehlen.“

Erlaubt ist allerdings eine Großdemonstration am Samstag, die in Dannenberg in der Nähe des Verladekrans stattfinden wird. In dem Ort endet die Bahnstrecke, weshalb die Castor-Behälter für die letzten Kilometer zum Zwischenlager in Gorleben auf Tieflader verfrachtet werden. Diese führen durch verschiedene Dörfer, die für die Tage des Transports faktisch unter Ausnahmezustand gestellt. Immer wieder gab es in den letzten Jahren Geschichten von Bürgern, die von Polizeibeamten am Betreten oder Verlassen ihrer an der Strecke gelegenen Häuser gehindert wurden.

Die Demonstration am Samstag ist von einem breiten Bündnis organisiert, an dem die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, die Bäuerliche Notgemeinschaft Lüchow-Dannenberg, der Anti-Atom-Organisation .ausgestrahlt, dem Kampagnennetzwerk Campact, dem Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND), Robin Wood, ContrAtom, der Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad und der DGB Region Nordost-Niedersachsen angehören.

Aus über 150 deutschen Städten sidn Busse angemeldet. Teilnehmer werden unter anderem auch aus Japan erwartet. Diverse russische Anti-Atom-Organisationen schickten ein Solidaritätsschreiben. Am gestrigen Donnerstag kam es im Wendland zu ersten Konfrontationen mit der Polizei. Die aktuellen Ereignisse können auf einem Ticker der Atomkraftgegner ( hier ggf. besser zu lesen) verfolgt werden.

Am späten Donnerstagabend stand der Transport noch immer in Frankreich. Offensichtlich verzögert sich der Zeitplan der Behörden durch Proteste entlang der Strecke, sodass der vorzeitige Start nichts gebracht zu haben scheint. Auch in deutschen Städten, die an den möglichen Routen liegen, sind Aktionen geplant.