Auf Umwegen durch Aventurien

"Das Schwarze Auge" zelebriert seine Rückkehr auf den PC, ebenso wie die unbequeme Umständlichkeit eines MMORPGs.

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Bis "Morrowind", "Oblivion" und Konsorten litten Rollenspiele auf dem PC immer daran, ein wenig anachronistisch zu sein. Vor allem grafisch hinkten sie der Konkurrenz stets um wenigstens ein paar Jahre hinterher. Die Umsetzungen von Deutschlands erfolgreichstem Pen&Paper-Rollenspiel "Das Schwarze Auge", kurz "DSA", bildeten nie eine Ausnahme. In "Schicksalsklinge", da gab es doch diese eine Höhle, in der man seine Helden ungeniert auf die höchsten Stufen steigern konnte, indem man einfach immer rein- und wieder hinausrannte. Das Ganze geschah in einer 16-farbigen 3D-Ansicht, die 1992 - im gleichen Jahr, in dem "Wolfenstein 3D" erschien - natürlich längst nicht mehr als "state of the art" bezeichnet werden konnte. "Sternenschweif", der Nachfolger in der "Nordland-Trilogie" der PC-Umsetzung des Rollenspiels "Das Schwarze Auge" sah 1994 in 256 Farben nur unwesentlich besser aus, konkurrierte inzwischen aber bereits mit den Filmsequenzen eines "Wing Commander 3". Immerhin konnte sich der Spieler inzwischen dafür entscheiden, stufenlos statt in vordefinierten Schritten und nur mit 90-Grad-Drehungen durch die Städte des virtuellen "Aventuriens", der DSA-Spielwelt, zu ziehen. In "Schatten über Riva", 1996, änderte sich erneut nicht viel - an der höchstens zweckmäßigen Grafik ebenso wie am im Gegensatz dazu bestens bewährten Gameplay.

"Drakensang", das unlängst erschienene vierte DSA-Computerspiel, will das jetzt alles anders machen - und verliert dabei das wesentliche aus den Augen. Denn anders als seine Vorgänger hat sich das Berliner Studio Radon Labs richtig ins Zeug gelegt, Aventurien in schönstem Glanz erstrahlen zu lassen. Mit einigermaßenem Erfolg, wenigstens, wenn man nicht zu genau hinsieht. Der Teufel steckt im Detail, und in der Spielbarkeit: Dass man zum Beispiel an jedem knöchelhohen Höhenunterschied im Terrain (sowohl höher als auch tiefer) wie an einer unsichtbaren Wand hängenbleibt, dürften wenigstens die alteingesessenen Rollenspiel-Fans noch gutmütig verzeihen. Unverzeihlich sind aber die bemühten Anpassungen an aktuelles Rollenspiel-Gameplay. Dies mag vielleicht den Jüngeren wiederum schmecken, allerdings sind sie aber auch mit der perfektionistischen Präsentation eines "Oblivion" groß geworden.

"Zeit schinden", so lautet die Kernprämisse eines MMORPGs, denn Zeit ist Geld. Je länger der Spieler braucht, die Spielinhalte zu erleben, umso länger bezahlt er sein Abonnement. Die Folge: Lange virtuelle Fußmärsche, zeitraubende Animationen für häufigst wiederkehrende Aktionen der Spielfigur, usw. "Drakensang" macht all das auch, schickt seinen Spieler bereits im Eröffnungs-Dörflein "Avestreu" mehrfach im Kreis. Die Aufträge folgen schon zu Beginn dem Muster: "Gehe zur alten Mühle, bringe mir XY. Komme zurück, dann gebe ich dir YZ, damit gehst du zurück zur Mühle und tötest XZ und bringst mir seinen Kopf. Dann gebe ich dir den Schlüssel, mit dem du die Kiste direkt hinter XZ aufschließen kannst. Wieder in der Mühle, natürlich." "Drakensang" ist ein MuMORPuGer für Offline-Spieler - die Designer scheinen vollkommen vergessen zu haben, dass es keinen Grund gibt, den Spieler bei jedem einzelnen Versuch, Kräuter zu sammeln, Tiere auszunehmen oder einen der unzähligen und ständig neu erscheinenden Gegner nach dessen erfolgreicher Beseitigung auf Gegenstände zu untersuchen, mit fünfsekündigen Animationen zu - ja! - langweilen.

Die liebevolle Umsetzung der mittelalterlichen Welt täuscht dabei nur schwach über das wiederholungslastige und dröge Gameplay hinweg. Das aufwändig umgesetzte und tatsächlich nahezu originär funktionierende System, nach dem die (zahlreichen) Dialoge von den Werten der Spielfigur beeinflusst werden, sind dagegen der schönste Beweis, dass Radon Labs die DSA-Lizenz hätte toll umsetzen können. Für alles andere gibt es aber in der aktuellen Rollenspiel-Konkurrenz von "Oblivion" über "Mass Effect" bis "Neverwinter Nights 2" zu viele Beispiele, wie sich genau diese Probleme vermeiden lassen. So setzt "Neverwinter Nights 2" das "Dungeons & Dragons"-Regelwerk um - viel näher an seiner Vorlage als "Drakensang" -, und involviert den Spieler durch die Gestaltung einer Welt, die auf moralisches und amoralisches Handeln des Helden zu reagieren scheint. In "Drakensang" dagegen kann man unbesorgt versuchen, jeden Passanten auf offener Straße zu beklauen - und hat bei einer Entdeckung nichts außer einer "Verschwinde!"-Texteinblendung zu befürchten. Interessant - und für aktive DSA-Spieler unverzichtbar - wird "Drakensang" höchstens durch die Intertextualität, die das Spiel mit anderen Publikationen des seit über 25 Jahren redaktionell betreuten und ständig aktualisierten Aventuriens aufspannt. So ist der Plot des Spiels eingebettet in die ständig fortlaufende aventurische Geschichtsschreibung, die in der zweimonatlich erscheinenden Ingame-Zeitung "Aventurischer Bote" festgehalten wird. "Drakensang" bildet den Prolog für eine Reihe von Print-Abenteuern, die bisher nur mit der mysteriösen Abkürzung "TNBT" - "The Next Big Thing" - betitelt sind und für die Spielwelt weitreichende Veränderungen mit sich bringen werden. Die Einführung in den "Drakensang"-Plot bildet wiederum das kostenlose Browser-Spiel "Verschwörung in Ferdok". Der Grund für die Querverknüpfungen (und "Drakensang"s Cliffhanger-Ende) ist offensichtlich: der direkte Nachfolger, ein gedrucktes DSA-Abenteuer noch unbekannten Titels, soll sich an Neueinsteiger in das komplexe Regelwerk richten - Intertextualität zur Erschließung neuer Käuferschichten.