Auskunft gibt man lieber woanders

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung erklärt Statistikfehler bei der Berechnung der Kinderarmut damit, dass sich immer weniger Personen befragen lassen möchten

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Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat seine Zahlen zur Kinderarmut korrigiert. Statt ursprünglich errechneten 16,3 Prozent, wie dies 2009 in OECD-Berichten weiterverbreitet wurde, lag sie damals nur bei 10 Prozent, wie eine Datenkorrektur des Instituts ergab fehlerhafte-statistik-kinderarmut-nur-halb-so-hoch-wie-gedacht/60048191.html: ergab. Die Meldung verbreitete sich heute rasch.

Kommentare sprechen von einer Blamage des angesehen Instituts, das doch immer so stolz auf die empirischen Grundlage der Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) hinweise. Und von einer Blamage der Politik, insbesondere der gegenwärtigen Regierung, die sich von den DIW-Zahlen zur Kinderarmut populistisch zur Erhöhung des Kindergeldes Anfang 2010 hinreißen hat lassen. Aber auch die neu errechneten 8,3 Prozent stehen nicht auf sicherem Boden: Unklar sei nämlich, "wie hoch genau dieser Wert ist", so DIW-Experte Markus Grabka gegenüber der Wirtschaftszeitung.

Der sieht die Malaise bei den Befragten. Es gebe immer weniger Bereitschaft unter den Bürgern zur Auskunft, beklagt Grabka:

"In den 11.000 befragten Haushalten hat sich die Zahl derjenigen, die nicht antworten, vergrößert. Die Bereitschaft der Teilnehmer mitzumachen sinkt seit 2000."

In der Folge wird auf Schätzungen zurückgegriffen. Aber unvollständige Einkommensangaben bei Familien mit mehreren Verdienern führten im konkreten Fall zu größeren Schätzproblemen. Man kann sich leicht ausrechnen zu welchen Diskrepanzen solche Schätzungen führen können. Was angesichts der Rolle, die Statistiken in der politischen Argumentation genießen, durchaus praktische Konsequenzen haben kann. Hält man sich vor Augen, wie Politiker auf Umfragewerte schauen (auch wenn sie dies gerne abstreiten), so bekommen die Meßfehler eine tragisch-komische Dimension, die zur Härte wird, wenn Immigrationsdebatten mit Statistiken geführt werden, denen man nicht über den Weg trauen kann.

Grabka erklärt sich die sinkende Bereitschaft, bei Befragungen mitzumachen, damit, dass "die Menschen so bedrängt werden, dass sie auch bei nicht kommerziellen Anfragen nicht mehr bereit sind, zu antworten". Auch das hat eine bemerkenswerte Dimension angesichts der Debatte darüber, dass allzu viele im Internet viel zu viel von sich verraten. Auskunft, so scheint es, gibt man lieber woanders. Sind die Deutschen, vor allem wenn es um ihren Verdienst geht, zu schweigsam? Das wird oft behauptet. Doch auch andere EU-Mitglieder, wie etwa Großbritannien, kämpfen "mit ähnlichen Statistikproblemen" wie Deutschland.