Bedauern und Unverständnis für Köhlers Rücktritt

Für die kriselnde Regierungskoalition ist der Rücktritt womöglich ein Zeichen für die Erosion

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Horst Köhler stellte die schwarz-gelbe Regierung heute Mittag mit seinem Rücktritt vor vollendete Tatsachen. Gegen 12 Uhr telefonierte er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass er um 14 Uhr zurücktreten wolle. Ebenfalls am Mittag telefonierte er mit Vizekanzler Guido Westerwelle. Beide versuchten, Köhler umzustimmen, doch "er wollte nicht umgestimmt werden", so Merkel auf einer eilends einberufenen Pressekonferenz. Sie bedauere den Rücktritt "auf das allerhärteste".

Diese Kurzfristigkeit stellt ausgerechnet die Parteien, die ihn einst zum Staatsoberhaupt gewählt haben, in einer ohnehin schon bestehenden Krisensituation vor eine weitere große Herausforderung. Innerhalb von 30 Tagen, also bis zum 30. Juni, muss die Bundesversammlung zusammentreten und einen Nachfolger wählen.

Bedauern und Unverständnis für die Entscheidung des Staatsoberhauptes zieht sich quer durch alle Parteien. Mit Kritik müsse jeder, der sich in der Politik bewege, umgehen können, so der Grundtenor. Als Bundespräsident müsse man Kritik von Anderen aushalten und souverän damit umgehen, so Gregor Gysi (Linke). Er lobte zugleich, dass Köhler die ökonomischen Gründe für Krieg offen ausgesprochen habe, lediglich eine kritische Auseinandersetzung mit diesen habe er sich gewünscht.

Cem Özdemir (Grüne) formuliert schärfer, Amtsträger seien nicht sakrosankt und stünden nicht über der Kritik. Sigmar Gabriel nannte Köhlers Interview "nicht besonders glücklich", es sei jedoch kein Rücktrittsgrund. Auch Volker Kauder (CDU) nennt den Rücktritt bedauerlich und "nicht notwendig". Der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion bricht aufgrund des Rücktritts von Köhler seine Türkeireise ab, wie seine Fraktion via Twitter mitteilt. Er war erst am Montagmorgen in Istanbul gelandet und wollte eigentlich noch bis zum Mittwoch zu politischen Gesprächen in der Türkei bleiben.

An den Spekulationen um einen möglichen Nachfolger wollten sich die Spitzen der Parteien derzeit noch nicht beteiligen. Besonders zurückhaltend gab sich der Fraktionsvorsitzende der SPD. Steinmeier erklärte, dass aus der Regierungskoalition entsprechende Vorschläge zu erwarten seien. Derzeit können Union und Liberale mit 648 Stimmen, die Oppositionsparteien inklusive kleiner Parteien wie NPD und SSW mit 599 Vertretern in der Bundesversammlung rechnen.

Diese bequeme Mehrheit ermöglicht es den Regierungsparteien, mit einem zügigen und einmütigen Vorschlag für einen Kandidaten Handlungsfähigkeit zu beweisen. Sollte die Koalition jedoch ähnlich uneinheitlich agieren wie in der Steuerpolitik oder der Finanzmarkregulierung, so droht der plötzliche Rücktritt Köhlers zu einer Regierungskrise zu werden. Cem Özdemir sieht im Ende der Amtszeit von Bundespräsident Horst Köhler schon jetzt einen Vorboten für das Ende von Schwarz-Gelb im Bund.