Bisher nur die spitzeste Spitze des exoplanetaren Eisberges

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Vor wenigen Tagen ist der Katalog der bestätigten Exoplaneten um 715 Welten reicher geworden. Aber das ist erst der Anfang – noch in dieser Dekade werden es Zehntausende, in der nächsten Hunderttausende sein

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Hand aufs Herz – für Eingeweihte und astronomisch Bewanderte war es mitnichten eine Überraschung, dass die US-Raumfahrtbehörde NASA am Abend des 26. Februar 2014 bei einer Pressekonferenz und mit einer Pressemeldung die Entdeckung von 715 bislang unbekannten extrasolaren Planeten mediengerecht und publikumswirksam lancierte.

Langwierige und aufwändige Observation

In Insiderkreisen war allgemein bekannt, dass der in 64 Millionen Kilometer Entfernung im Windschatten der Erde operierende NASA-Observationsroboter Kepler während der ersten beiden Jahre (von 2009 bis 2010) seiner intensiven Durchmusterung des Himmels mehr als 3670 potentielle Exoplaneten entdeckt hat. 3670 Welten und noch einige mehr, die allesamt mit bodengestützten Teleskopen nachbeobachtet werden müssen. Hinzu gesellt sich überdies der Datenberg, der sich in den Jahren 2011 und 2012 angesammelt hat und von dem Kepler-Team noch abzutragen ist.

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Künstlerische Darstellung der entdeckten Mehrfachsysteme. Bild: Nasa

Einen Exoplaneten zu detektieren und sein Vorhandensein nachzuweisen, ist langwierig und aufwändig. Lokalisiert das Weltraumteleskop Kepler etwa einen unbekannten Himmelskörper, der gerade vor seinem Heimatstern vorbei zieht und dabei dessen Licht geringfügig abschwächt, reicht ein einmaliger Transit bei weitem nicht aus, um teure Folgebeobachtungen zu rechtfertigen. Vielmehr muss Kepler bei einem Planetenkandidaten zunächst drei Transits aufzeichnen. Insbesondere bei Exoplaneten, die ihren Mutterstern in großem Abstand umkreisen, ist Geduld gefragt, weil sich Observationen solcher Couleur oft über viele Monate hinziehen. Aber selbst wenn die erste große Hürde genommen ist und die obligaten drei Transits aufgezeichnet sind, muss eine zweite Quelle, besser gesagt ein auf dem Prinzip der Radialgeschwindigkeitsmethode arbeitendes Teleskop, den Status des vermeintlichen Exoplaneten bestätigen.

95 Prozent nur minimal größer als Erde

Dass die NASA dieses Mal jedoch gleich 715 neue bestätigte Exoplaneten auf einen Schlag in die statistische Waagschale werfen konnte, ist einem neuen Analyse und -Auswerteverfahren zu verdanken, dass die Forscher um Jason F. Rowe und Jack J. Lissauer vom Ames Research Center der NASA im kalifornischen Mountain View ausgefeilt haben und welches das Bestätigungsverfahren spürbar beschleunigte (mehr hierzu in einem späteren Blog-Beitrag).

Es sind 715 neue Welten, die ihr Muttergestirn nicht als Solisten umkreisen, sondern allesamt Teil einer planetaren Familie in einem Mehrfachsystem sind. Sie verteilen sich auf 305 Sternsysteme. 95 Prozent von ihnen sind geringfügig größer als die Erde, aber kleiner als der Gasplanet Neptun, der den vierfachen Durchmesser unseres Planeten hat. Für den Leiter der NASA-Wissenschaftsmission John Grunsfeld Grund genug, den Blick nach vorn zu richten: "Einige der neu entdeckten Planeten und Systeme gleichen unserem Sonnensystem und stellen damit potentielle Ziele für die zukünftige Arbeit mit dem James Webb Space Telescope dar, mit dem diese neuen Welten dann genauer untersucht und beschrieben werden können."

Allerdings befinden sich nur vier von den 715 neuen Exoplaneten in einer habitablen Zone, haben demnach den richtigen Abstand zu ihrer Sonne gefunden, um flüssiges Wasser zu generieren und zu konservieren. Einer von ihnen ist Kepler-296f. Er weist wie seine drei Kollegen gerade einmal den 2,5-fachen Durchmesser der Erde auf, umkreist aber einen Stern, der nur 50 Prozent der Größe unserer Sonne und fünf Prozent ihrer Helligkeit hat. Trotz allem ist ungewiss, ob es sich bei dem planetaren Quartett überhaupt um Felsen- oder Gasplaneten handelt.

Paradigmenwechsel programmiert

So beeindruckend dieser vermeintlich exoplanetare Quantensprung auch anmutet – er symbolisiert letzten Endes nur den Paradigmenwechsel in der Planetenforschung, der sich langsam abzeichnet. Denn Kepler, der bislang erfolgreichste Planetenjäger, der von 2009 bis 2013 sage und schreibe 160 000 Sterne in den in den Konstellationen Cygnus (Schwan) und Lyra (Leier) unter die Lupe nahm, markiert nur den Anfang einer kaum absehbaren Entwicklung, die Astronomen in den nächsten Dekaden vor großen Herausforderungen stellen wird. Schließlich wir der Datenberg mit den Jahren immer größer. Um ihn zu verkleinern, gilt es nicht nur, die finanzielle Basis zu vergrößern, sondern schnellere Computer einzusetzen und mehr Personal zu rekrutieren.

Wenn die nächste Generation der neuen Weltraumobservatorien wie etwa die NASA-Mission TESS, die allein bis zu 10000 Exoplaneten entdecken soll, oder die ESA-Observatorien CHEOPS und PLATO ihre Startlöcher verlassen und das Rennen um die erste echte Zwillingserde fortsetzen, wenn sich vor allem der Hubble-Nachfolger, das James Webb Telescope und nicht zuletzt das bodengebundene sehr leistungsstarke European Extremely Large Telescope (E-ELT) mit seinem von 39,3-Meter-Primärspiegel an dem Wettkampf beteiligen, schwillt der Katalog des fernen Welten auf bis zu 100.000 Exoplaneten oder vielleicht sogar noch mehr an.

Gescheitere Missionskonzepte

Das wäre allerdings dann nur die erste Etappe. Die übernächste Generation der Planetenjäger, die in den Fantasiewelten zahlreicher Wissenschaftler, Ingenieure und Träumer immer schon ein Thema war und auch auf dem Reißbrett Konturen gewonnen hat, könnte nicht nur mehr fremde Welten entdecken, sondern vor allem auch immer erdähnlichere. Die Sternwarten der Zukunft könnten darüber hinaus in den Atmosphären der erdnahen Exoplaneten gezielt nach Biosignaturen suchen. Der beiden ambitionierten Missionen, der Terrestrial-Planet-Finder der US-Raumfahrtbehörde NASA und die Darwin-Mission der Europäischen Raumfahrtagentur ESA wären dazu in Lage gewesen.

Beide Konzepte standen schon auf der Agenda ihrer Behörden, segneten aber aus finanziellen Gründen schnell wieder das Zeitliche. Beide Interferometrie-Superteleskope hätten die eingefangene Strahlung dergestalt überlagert, dass die Bildschärfe eines 100 Meter großen Fernrohrs erreicht worden wäre. Um in den Atmosphären erdähnlicher Exoplaneten chemische Lebensspuren aufzuspüren, hätten deren Spektrographen das von den Planeten reflektierte Licht in seine farblichen Bestandteile zerlegt und dabei alle Biosignaturen wie Methan oder Ozon, die auf Leben hingedeutet hätten, ausfindig gemacht.

New Worlds Mission

Inzwischen liegen schon längst neue Vorschläge und Missionskonzepte in den Schubladen der NASA, die alles Bisherige in den Schatten stellen könnten. Die New Worlds Mission etwa, die 2020 ins All starten könnte, soll durch Ausblendung des stellaren Lichts terrestrische Exoplaneten direkt sichtbar machen – weitaus schneller und weniger aufwändiger als alle bisher angewandten Verfahren.

Mit einem klassischen, in der Astronomie altbewährten Abblendtrick wollen die Planetenjäger Hunderttausende neue Exoplaneten aufspüren. Um zu wissen, wie besagter Abblendtrick in der Praxis funktioniere, kann jeder selbst die Probe aufs Exempel machen. Dazu braucht man nur ein rundes Objekt zu nehmen, vielleicht ein kreisförmiges Stück Ton. Dann strecke man den Arm aus, visiere die Sonne an und halte das kunstvolle Objekt so geschickt in einer Sichtlinie zwischen Auge und Stern, dass die Sonne dahinter verschwindet. Da der Heimatstern auf diese Weise abgedunkelt wird, treten alle Objekte ins Blickfeld, die am Rand des gleißend hellen Feuerballs angesiedelt sein könnten.

Bei der New Worlds Mission soll dereinst eine im Durchmesser 30 bis 50 Meter große Verdunklungsscheibe in Form einer Sonnenblume in einem Abstand von zirka 1,6 Millionen Kilometern zur Erde platzieren werden. Im günstigsten Fall könnte der New Worlds-Verdunkler das Licht des jeweiligen Zentralsterns um den Faktor 10 Milliarden abschirmen und kleine extrasolare Planeten in einem Radius von bis zu 32,62 Lichtjahren ins Sichtfeld holen. Die Rolle des Auges, welches das schwache planetare Licht einzufangen hätte, übernähme dann das leistungsstarke James Webb Space Telescope (JWST). Mit seinem 6,5 Meter großen Primärspiegel könnte es das eingefangene schwache Licht des fernen Exoplaneten bündeln und mittels einer Spektralanalyse die Beschaffenheit der fremden Atmosphäre genau untersuchen.

  • Nähere Informationen über die Entdeckung (Press kit mit Bildern, Animationen, Videos, Pressemeldungen und Fachartikel) siehe hier:
  • Über die aktuelle Entdeckung berichten das Kepler-Team und die beteiligten Wissenschaftler anderer Institute etc. am 10. März in "The Astrophysical Journal". Prepint-Paper hierzu ist bereits online.