Bologna im Bundestag

Die SPD will für ihre Abgeordneten eine Anwesenheitspflicht einführen

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Ein wesentlicher Bestandteil der Umsetzung der Bologna-Reform an Universitäten waren Anwesenheitsprüfungen für Pflichtveranstaltungen. Wählten Studenten vorher selbst aus, welche Vorlesungen, Seminare und Übungen für sie und eventuell auch für die Wissenschaft von Nutzen waren, so wurde dies nach der Übernahme des Fachhochschul-Modells von Gremien übernommen, die festlegten, was und wie viel in welchem Zeitraum gemacht werden muss. Problematisch an dieser Regelung ist nicht nur, dass damit ein durch Arbeit finanziertes Studium praktisch unmöglich wurde, sondern auch, dass Studenten Zeit in für sie uninteressanten Vorlesungen absitzen, die sie anderweitig sinnvoller nutzen könnten.

Die SPD ist von diesem Modell scheinbar so begeistert, dass sie es für ihre Bundestagsabgeordneten adaptieren will. Aus diesem Grund verschickte der Parlamentarische Geschäftsführer Christian Lange in der letzten Woche ein Schreiben, in dem es hieß, dass eine Abwesenheit während der wöchentlich sechsstündigen "Kernzeit" künftig entschuldigt werden müsse. Grund dafür soll angeblich eine in der Vorwoche gehaltene Rede des Fraktionsvorsitzenden Frank-Walter Steinmeier gewesen sein, der nur sehr wenige Sozialdemokraten beiwohnten.

Ob eine Abmeldepflicht die Präsenz tatsächlich wesentlich erhöhen wird, ist allerdings fraglich: Dass sich bereits einige Abgeordnete beschwerten, sie hielten es für wenig sinnvoll, sich abzumelden, wenn sie sich donnerstags und freitags von 9 bis 12 Uhr "um Besuchergruppen kümmern" oder "Gespräche führen" müssten, deutet nicht darauf hin, dass man die Hürden für triftige Abwesenheitsgründe allzu hoch legen wird. Zudem wird auch eine (für die Fernsehkameras freilich günstige) höhere Anwesenheitsquote bei Steinmeier-Reden das Problem nicht lösen, dass Abstimmungen über Gesetze auf Sammeltermine gelegt und Redebeiträge gar nicht mehr gehalten oder angehört, sondern nur noch schriftlich zu Protokoll gegeben werden.