Brandschutz, Sicherheit - und die "ganz normalen Behindertenprobleme"

Außer Kontrolle

Es hätte eine sehr gute Gelegenheit sein können: Doch die Veranstaltung "Menschen mit Behinderungen im Deutschen Bundestag" zeigt allzu deutlich, welche Probleme Menschen mit Behinderungen tagtäglich haben

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Zu viele Rollstuhlfahrer

Am 2. und 3. Dezember sollten 300 Menschen mit Behinderungen mit Politikern im Bundestag bei einer gemeinsamen Veranstaltung diskutieren können. Ziel war es, "ein gemeinsames Signal für die Bereitschaft zur Inklusion und zur Überwindung von Barrieren in allen Lebensbereichen auszusenden". Dieses Signal war nun deutlicher als gedacht, denn die eingeladenen Behinderten wurden wieder asugeladen – die Brandschutz- und Sicherheitsvorkehrungen des Bundestages machen es unmöglich, zeitgleich über 100 Rollstuhlfahrer (die sich unter den 300 Behinderten befinden würden) in den Bundestag einzuladen. Eine Alternativveranstaltung ist nun für den Oktober 2012 angedacht, bei dieser soll aber darauf geachtet werden, dass die Zusammensetzung der einzuladenden Personen den Gegebenheiten der Räumlichkeiten im Bundestag entspricht.

Ilja Seifert, behindertenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, hat das Ablehnungsschreiben mitunterzeichnet, doch die Entscheidung fiel, wie er betont, gegen seine Stimme.

"Es gibt Bereiche, wo Rollstuhlfahrer/innen nicht hinein oder auch wieder hinaus kommen und es gibt unakzeptable Begrenzungen in der Zahl (bei Bus und Bahn, in Kinos, Theater, Stadien usw.) Und auch der Bundestag mit seinen großen und neuen Gebäuden muss sich nun - über 10 Jahre nach dem Einzug - mit der Frage beschäftigen, wie viele Rollstuhlfahrer/innen hinein dürfen."

(Quelle: Kobinet)

Flexibilität, was ist das?

Flexibilität ist etwas, was gerade Rollstuhlfahrern, im "ganz normalen Leben" kaum möglich ist. Busse und Bahnen ermöglichen nur wenigen Rollstuhlfahrern das Mitfahren, Niederflurbusse sind oft noch Mangelware, weshalb Helfer notwendig sind. Fehlende Fahrstühle und Rampen bei Bahnhöfen sind oft nicht vorhanden, auch die Bahnen selbst sind nur bedingt rollstuhltauglich, weshalb ganz genau vorher geplant werden muss, wann welcher Rollstuhlfahrer welchen Zug in Anspruch nehmen möchte damit entsprechende Rampen plus Personal zur Verfügung stehen.

Auch öffentliche Veranstaltungsräume sind oft alles andere als behindertentauglich - nicht nur für Rollstuhlfahrer, auch für Geh-, Seh- oder Hörbehinderte stellen ungeschultes Personal, mangelnde technische Ausstattung und schlichtweg auch das fehlende Bewusstsein für Behinderungen an sich ein unüberwindbares Problem dar. Dies schmälert die Möglichkeit, am öffentlichen Leben teilzunehmen, in erheblicher Weise - wird jedoch oft mit einem lapidaren Kommentar nach Art von "na ja, man kann halt nicht alles haben" abgebügelt, ohne dabei zu bemerken, dass hier eine Vielzahl von Menschen systematisch ausgeschlossen wird.

Natürlich können nicht alle Altbauten mit Rampen usw. versehen werden und Brandschutz und Sicherheit gehen vor, doch das Beispiel des Bundestages zeigt auch, wie unflexibel die Verantwortlichen oft agieren. "Ich war und bin der Meinung, dass die Veranstaltung mit Einschränkungen und Kompromissen (allerdings nicht bei Fragen von Sicherheit und Brandschutz) durchführbar gewesen wäre, blieb aber mit dieser Auffassung in der Minderheit" wird Ilja Seifert zitiert und die Frage ist, inwiefern hier versucht wurde, die Veranstaltung wie geplant durchzuführen, zusätzliches Hilfepersonal zu involvieren damit trotz der über 100 Rollstuhlfahrer alle brandschutz- und sicherheitstechnischen Aspekte bedacht werden können.

Oft genug bedarf es nur verhältnismäßig weniger Anstrengungen und gemeinsamer Überlegungen von Nichtbehinderten und Behinderten um zu einer Lösung zu kommen, doch leider steht allzu oft ein "Geht nicht" an erster Stelle.