Bürger wollen Gleichheit

Deutsche Schulpolitiker könnten in Südkoreas Hauptstadt Seoul in die Lehre gehen

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In Westdeutschland galten Ganztagsschulen und Schulspeisung dereinst als kommunistisches Teufelszeug, das von den konservativen Parteien, nicht selten in Allianz mit den Kirchen, mit Zähnen und Krallen bekämpft wurde. Während rund herum in den Nachbarländern in West wie Ost die Kinder bis Nachmittags in die Schule gingen, und zwar verlässlich, war und ist es mancherorts noch immer üblich sechs-, sieben- oder achtjährige um 12 Uhr nach hause zu schicken, bei Lehrerausfall gerne auch mal ein oder zwei Stunden früher. Muttern wird schon zu hause sitzen. Schließlich gehören Frauen ja an den Herd. Letzteres mag zwar längst keine dominante Meinung in der Gesellschaft mehr sein, aber die faktischen Strukturen, die die Mütter in solche Rollen zwingen, sind noch immer weit verbreitet.

Aber nicht nur die Frauen haben das Nachsehen, sondern auch ein nicht kleiner Teil der Kinder. Besonders natürlich jene, deren Eltern nicht genug verdienen, dass ein Einkommen für die Familie reichen würde. Das hat sich inzwischen sogar bis in einige Bildungsministerien herum gesprochen, weshalb nun in vielen Bundesländern die Einrichtung von Ganztagsschulen gefördert wird. Immerhin. Jetzt muss nur noch dafür gesorgt werden, dass die Kindern vernünftig ernährt werden und nicht mit Essen abgespeist werden, dass bereits stundenlang in Warmhalteboxen einer weit entfernten herumstand.

Und man stelle sich vor, die Kinder aus Hartz-IV- und Geringverdiener-Familien würden das Schulessen kostenlos bekommen. Was für eine Entlastung wäre das für die Familien. Unter anderem könnte so auch verhindert werden, dass Kinder mit leerem Magen und hungrig in der Schule sitzen müssen, wie es heute gerade beim Nachwuchs aus den ärmeren Bevölkerungsschichten oft der Fall ist. Der Grund ist meist eine Mischung aus Armut, Überforderung und daraus erwachsender Vernachlässigung.

Für hiesige Liberale, Konservative und andere Marktfetischisten ist kostenlose Schulspeisung von Hartz-IV-Kindern natürlich Teufelszeug, in anderen Ländern jedoch Alltag. In Südkoreas Hauptstadt Seoul zum Beispiel, wie Asia Times Online berichtet. Dort geht sogar noch mehr. Der von Moderaten und Linken beherrschte Stadtrat wollte kürzlich ein Zeichen gegen die wachsende Ungleichheit in der Gesellschaft setzen, die bereits in den Schulen die Ärmeren an den Rand drängt und stigmatisiert. Deshalb wurde beschlossen, dass künftig nicht nur die Kinder aus ärmeren Familien sondern alle bis zur sechsten Klasse einschließlich kostenloses Schulessen bekommen. Ein weiser Entschluss der den Kindern signalisiert: alle sind gleich.

Dem Bürgermeister von der regierenden GNP, der konservativen Partei der einstigen Militärherrscher, hat dieser Zug gar nicht geschmeckt. In einem Referendum versuchte er die Bevölkerung der Millionen-Metropole gegen den Stadtratsbeschluss zu mobilisieren. Zum Glück scheiterte er kläglich. Die Kosten des Referendums, rund zwölf Millionen Euro, hätten für ein halbes Jahr Schulspeisung gereicht.