China: Keine Experimente

Hongkonger dürfen 2017 ihren Regierungschef erstmals wählen, die Kandidaten werden allerdings handverlesen sein

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Chinas Rumpfparlament, der ständige Ausschuss des nur einmal jährlich tagenden Volkskongresses, hat neue Regeln für die Wahl des Regierungschefs der autonomen Region Hongkong verabschiedet. Demnach wird es zwar 2017 erstmalig allgemeine und gleiche Wahlen geben, wie vom Hongkonger Grundgesetz vorgesehen. Allerdings hat allein ein "repräsentatives Komitee" das Recht, Kandidaten vorzuschlagen. Damit werde das Prinzip, dass Hongkonger Politik von den Hongkongern bestimmt werden solle, umgesetzt, heißt es in einem Beschluss des Beijinger Parlaments. Dabei sollten "Patrioten" die Hauptstütze bilden.

Auch bei der Wahl des sogenannten Legislative Council, des Hongkonger Parlaments, sichert sich Beijing ab, indem es vorerst alles beim Alten belässt. Seine 70 Mitglieder werden zur einen Hälfte von verschiedenen Berufsverbänden nominiert und zur anderen in Wahlkreisen per Direktwahl bestimmt. Spezielle Vorschriften für die Abstimmungen im Parlament sorgen zusätzlich dafür, dass nichts schief laufen kann. Für die Annahme von Gesetzentwürfen der Regierung reicht die einfache Mehrheit. Änderungsanträge der Parlamentarier oder deren eigene Entwürfe bedürfen hingegen jeweils der einfachen Mehrheit der direkt gewählten und der von den Berufsgruppen bestimmten Abgeordneten.

Dieses System ist übrigens in ähnlicher Form bereits gegen Ende der britischen Kolonialzeit eingeführt worden. Zuvor hatten die chinesischen Bewohner Hongkongs praktische keinerlei Mitsprachemöglichkeiten. Bei der Übergabe an China 1997 wurde das oben erwähnte Grundgesetz vereinbart und der Bevölkerung zugleich versprochen, das später einmal allgemeine und freie Wahlen eingeführt werden.

Die Führung in Beijing ist an diesen natürlich nicht besonders interessiert, nicht zuletzt weil sie befürchten muss, dass der demokratische Bazillus auf die Volksrepublik übergreifen könnte. Außerdem ist sicherlich nicht von der Hand zu weisen, dass westeuropäische Staaten und mehr noch die USA nach dem Muster der Einmischung in Osteuropa auch in Hongkong an einer Destabilisierung interessiert wären. Immerhin hat Washington zuletzt den Ton gegenüber China wieder verschärft. (Siehe auch An allen Fronten.)

Allerdings ist es ein wenig zu kurz gegriffen, die (erheblichen) Einschränkungen des Wahlrechts nur mit Interessen der Führung in Beijing zu erklären. Auch die Hongkonger Geschäftswelt lebt mit dem Status quo sehr gut. Die bestehende Konstruktion gewährt ihr hervorragenden Einfluss auf die Wirtschafts- und Finanzpolitik, über die Hongkong eigenständig entscheidet, und entsprechend lassen sich in der Stadt hervorragend Geschäfte machen. Zum Beispiel auf dem boomenden Immobilienmarkt.

Für Arbeiter und Angestellte ist die Situation hingegen weniger rosig: Der Mindestlohn liegt bei lediglich 30 Hongkong-Dollar die Stunde (rund drei Euro) und die etwa 240.000 Hausangestellten, die das Leben der Reichen und des wohlhabenden Mittelstandes organisieren, leben in einer weitgehend rechtlosen Parallelwelt.

Derweil begründet das Parlament in Beijing seinen Beschluss unter anderem auch damit, dass das Wahlrecht "förderlich für die Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft" sein müsse und dass der Widerstand "einer kleinen Minderheit" dagegen die Interessen "ausländischer Investoren" untergrabe.

Ganz so klein ist diese Minderheit allerdings nicht. Fast 800.000 Honkonger hatten sich im Juni an einem inoffiziellen Referendum der Demokratiebewegung beteiligt. Zum Vergleich: Hongkong hat eine Bevölkerung von etwas mehr als sieben Millionen Menschen. Am 1. Juli hatten nach unterschiedlichen Angaben knapp 100.000 bis über 500.000 Menschen für demokratische Reformen demonstriert.

Allerdings verfügen auch die regierungstreuen Kräfte über nicht geringe Unterstützung in der Bevölkerung. Mitte August hatten sie im Vorfeld des jetzt gefassten Beschlusses nach Zählung der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua 190.000 Menschen auf die Hongkonger Straßen gebracht. Die "Occupy-Central"-Gruppe, die die Proteste für mehr Demokratie und das Referendum organisiert hatte, kündigte derweil laut einem Bericht in der South China Morning Post an, weiter für Reformen am Wahlrecht kämpfen zu wollen.