Claudia D., Alice S. und die Vergewaltigung

Außer Kontrolle

Alice Schwarzer hat erneut einen Rechtsstreit gegen Jörg Kachelmann verloren. Ihre Argumente, weshalb sie im Recht sein solle, klingen, dezent gesagt, konstruiert naiv

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Wäre Alice Schwarzer ein Journalismusneuling, ein Blog-Frischling oder dergleichen, so wäre es vielleicht noch möglich, ihr abzunehmen, dass sie nicht wusste, was sie schrieb, als sie in einer Glosse für die "Emma" die Worte "Unschuldsvermutung" und "einvernehmlicher Geschlechtsverkehr" als Unworte des Jahres vorschlug.

"Unworte des Jahres" sind Worte, die seit 1991 prämiert werden, weil sie z.B. gegen das Prinzip der Menschenwürde, der Demokratie... verstoßen, euphemistisch sind oder dergleichen. Beispiele für solche Unworte sind z.B. "Wohlstandmüll" oder "Humankapital" bzw. "alternativlos". Welche Worte seit 1991 prämiert worden, lässt sich auf der Homepage "Unwort desJahres" nachlesen.

Die von Frau Schwarzer in ihrer Glosse, wie sie es definiert, vorgeschlagenen Wörter, markieren Worte im allgemeinen Schriftverkehr, in rechtlichen Auseinandersetzungen und nicht zuletzt ein Prinzip des Rechtstaates.

Die Unschuldsvermutung bedeutet im Sinne der Rechtstaatlichkeit, dass einem Beschuldigten seine Tat nachgewiesen werden muss, er jedoch nicht etwa seine Unschuld beweisen muss. Das heißt nicht, dass er nicht von Privatpersonen als schuldig angesehen werden darf, die Unschuldsvermutung bezieht sich auf das rechtstaatliche Verfahren und soll einen fairen Prozess gewährleisten.

Unschuldsvermutung eher hinderlich

Nun ist bei dem Verfahren gegen Jörg Kachelmann, bei dem er der Vergewaltigung beschuldigt wurde, die Unschuldsvermutung gerne eher als Hindernis angesehen worden. In einem Boulevardblatt wurde seitens einer Autorin gar gefordert, dass Jörg Kachelmann auch dann inhaftiert werden solle, wenn er als unschuldig gelte - eine andere Regelung würde zu vielen Frauen den Mut nehmen, Vergewaltigungen anzuzeigen.

Die Stoßrichtung derjenigen, die sich ähnlicher Argumente bedienten, war klar - bei Vergewaltigungsfällen, die oft genug lediglich die beiden Aussagen der Kontrahenten (Beschuldigende/Beschuldigte) als Basis haben, sollte nicht nur der Einzelfall eine Rolle spielen, sondern vielmehr sollte ein "Signal" gesetzt werden, auch wenn dies auf Kosten des Schicksals eines Menschen ginge, dem keine Schuld nachgewiesen werden kann.

Alice Schwarzer, die für die Bildzeitung als Gerichtsreporterin fungierte, auch wenn sie an etlichen Tagen nicht selbst an den Terminen teilnahm, machte während des Verfahrens kein Hehl daraus, wie sie über Jörg Kachelmann dachte – für sie war er schuldig, egal was das Verfahren nun mit sich bringen würde.

Schon allein seine Art und Weise mit Frauen umzugehen, sie zu belügen und ihnen vorzumachen, sie seien jeweils die "einzige Frau" in seinem Leben (beispielsweise) reichte aus, um ihn nicht nur unsympathisch, sondern automatisch als Schuldigen dastehen zu lassen, wenn es nach Frau Schwarzer ging.

Nur eine Glosse?

Noch kurz vor Prozessende ließ Frau Schwarzer mitteilen, dass sie Herrn Kachelmann für schuldig halte, auch wenn dies, wie die Augsburger Allgemeine treffend formulierte, uninteressant war. Doch mit dem Freispruch im Fall Kachelmann endete die ganze Angelegenheit für Frau Schwarzer nicht, vielmehr ließ sie es sich nicht nehmen, regelmäßig zu betonen, dass sie Herrn Kachelmann weiterhin für schuldig hält. Wobei sie eben hier nicht mehr als Privatperson agiert, sondern letztendlich auch als mediale Instanz, die sich an presserechtliche Regelungen zu halten hat.

Die Glosse, wie es Frau Schwarzer darstellt, sollte nur eine allgemeine Medienkritik sein und der Name "Claudia D." sei nur ein allgemeingebräuchlicher Name, der nicht automatisch dem Fall Kachelmann zuzuordnen sei. Wäre dies ggf., wie anfangs bereits geschrieben, einer Blog-Novizin noch zu glauben gewesen, so liegt der Fall bei Frau Schwarzer anders.

Es ist kaum anzunehmen, dass ihr nicht klar war, dass angesichts ihrer öffentlichen Rolle im Medienfall Kachelmann auch ihre "Glosse" von den Anwälten angegriffen werden und der Name "Claudia D." in dieser Hinsicht eben nicht als "zufällig gewählter Allerweltsname" gelten würde. Das Gericht, das nun nach der ersten Instanz , die bereits 2012 gegen Frau Schwarzer entschied, auch in zweiter Instanz für Herrn Kachelmann entschied, ist für Frau Schwarze allerdings kein Zeichen zum Aufgeben – da eine Revision ausgeschlossen wurde, soll nun ggf. eine Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof den Fall weiterbringen.

"Da fragt man am besten … Claudia D. oder irgendeine von den 86.800 geschätzten vergewaltigten Frauen im Jahr, deren Vergewaltiger nie angezeigt, nie angeklagt oder nie verurteilt wurden", schrieb Alice Schwarzer als Begründung auf die Frage, wieso sie die "Unschuldsvermutung" oder "einvernehmlichen Sex" als "Unworte des Jahres" vorschlug (natürlich nur in einer Glosse). Auf welcher Seite sie steht und was sie von der Unschuldsvermutung hält, hat sie damit erneut unter Beweis gestellt.