Copy and Waste

Neben der Spur

Sommerthema DIGITAL LEBEN: Die Kopie ist nichts mehr wert. War sie noch nie. Es sei denn, man reichert sie an. Oder fälscht sie, und macht sie dadurch wieder wertvoll.

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Walter Benjamin, seufz, genau der. Der mit dem Text vom Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Nicht sonderlich überraschend für einen iTunes Kunden, da liest man vom Verlust der Aura eines Kunstwerks, wenn es durch die technisch ermöglichte Kopie seiner Einzigartigkeit beraubt worden ist. Dachte Benjamin noch an pure Langeweile, wenn der dreissigste Mann mit Goldhelm in der Wohnung hängt, ist Musik heute durch Copy & Paste zur Commodity geworden. Sie ist überall. Und ihr Wert muss entweder konzertant oder durch gezielte Einführung eines Events wieder wertig gemacht werden. Wie in der bildenden Kunst eingeübt. Was eine signierte Lithographie gegenüber dem Offsetdruck des gleichen Bildes natürlich wertvoll macht: nicht ein Druck sieht nach Verlassen der Steinplatte gleich aus. Schon die Signatur ist nie gleich. Kein Konzert gleicht dem anderen. Kein TV-Auftritt ist wiederholbar.

Bjørk kann man wegen ihrer Musik mögen oder nicht. Spannend bleibt, wie sie einen Multimediaansatz aufrecht erhält. Biophilia erscheint mit einer Oberfläche im Design der Website zuerst als App mit Instore Purchase der einzelnen Songs, die einzeln erwerbbar sind. Dann erst auf CD und als Audiodownload. Die einzelnen Releases kommen auf dem iPhone dann als Kombination aus Track und Biospiel heraus, wie man es schon aus den 90ern von Peter Gabriels DVD Eve kennt. Das variiert das Kunstprodukt durch Interaktion und macht es im Ergebnis einmalig. Aber auch einzeln. Wirklich wertig sollen im Der Shop der neuen Website nur 200 Exemplare der EdelCD mit Holzbox verkauft werden. Ähnlich zur Idee einer Lithographie besitzen auch sie eine Einmaligkeit, die ihnen Aura mittels Verpackung vermitteln sollen. Die von Nine Inch Nails kopierte Vermarkungsstrategie wird wohl aufgehen. 500 Britische Pfund legt man dafür auf den Tisch. Ach ja: Zehn Stimmgabeln bekommt man auch dafür. Für 35 Steine bekommt man noch ein gedrucktes Manual, aber das kann ja jeder kaufen. Die Tracks bietet iTunes sicher bald komplett an. Noch nicht, denn das hier ist es sicher nicht.

Zurück zur Einmaligkeit. Seine Aura der erhält ein Kunstwerk auch, wenn aus einem massenweise verteilten T-Shirt mit Nazimotiv ein Nazi Ausstiegs-T-Shirt wird, sobald ein Glatzkopf die Ungeheuerlichkeit begeht und es bei 30 Grad wäscht. Der Umgang damit macht es zum eigentlichen Kunstwerk. So wie die Fälschungen von Van Meegeren, die als angeblich echter Vermeer auch Göring an der Nase herum geführt haben. Walter Benjamin hätte das vielleicht gefallen. Die Kopie, die erst durch seinen verhassten Nutzer Einmaligkeit erlangt und dadurch für Dritte wertig werden kann, zumindest eine Notiz wert ist.

Hier tut sich doch auch eine Welt in der Copy&Paste Wüste auf. Digitale Kopien, die in einem neuen Kontext und als Fälschung den Markt erreichen, laufen den unzählichen Gaga-Files den Rang ab. Das wird eine Musikindustrie nicht freuen. Aber ein Massenmarkt wird das nicht werden, keine Bange.