Die Kunst des Rote-Teppiche-Beschreitens

Die schönsten Männer der Welt: George Clooney wird endlich heiraten, Brad Pitt weiß nicht recht und Angelina ist nicht da - Anmerkungen zum Starrummel bei den Filmfestspielen von Venedig

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

"Ich werde noch heute heiraten und zwei Kinder kriegen", sagte George Clooney. Und einen Augenblick lang dachte der eine oder andere im Saal, das sei jetzt wirklich ernst gemeint. Derartige alberne Antworten auf alberne Fragen und das gleichzeitige Herumreden um interessante Fragen gehören zur Hauptaufgabe internationaler Stars und zur Routine von Pressekonferenzen, wie jene, die am Mittwoch die Filmfestspiele von Venedig eröffnete.

Sein Kollege Brad Pitt - beide spielen die Hauptrollen in dem neuen Film der Coen-Brüder "Burn after Reading", der die diesjährigen Filmfestspiele eröffnete - erzählte dann noch, dass Angelina nicht da ist, sondern bei den Zwillingen, und, ach ja, dass er, als er das Angebot für den Film bekam, sich zunächst freute,und dann nach Drehbuchlektüre aber nicht mehr recht wusste, ob er sich nun geschmeichelt oder beleidigt fühlen durfte: Weil er in dem Film doch so einen Volldeppen spielt.

Zuhause in der Heimat wird dann verzückt gemeldet, wie gut gelaunt "George und Brad" doch gewesen seien, und dann blubbert der Starbetrieb schon weiter: Charlize Theron, Anne Hathaway, wo ist Scarlett Johannson? Agnes Varda ist zu alt. Jonathan Demme kennt schon keiner… Nina Hoss ist zu deutsch, dann bitte Benno Führmann. Auf die Verbreitung kommt es an, Hauptsache, man spricht drüber. Das ist nicht mehr hippiehaft gemeint, sondern tautologisch: Alle reden darüber, weil alle darüber berichten. Und umgekehrt. Und eigentlich interessiert es keinen.

Noch am Mittwochvormittag wurde am Lido für die Bühne für diesen Starbetrieb eifrig gehämmert und geschraubt. Wieder einmal entsteht erst auf den allerletzten Drücker aus der verschlafenen Spätsommerstimmung des Ferienstrandes von Venedig ein vibrierendes Festival, das dann für 12 Tage den Nabel der Filmwelt bildet: Rund 120 Filme werden gezeigt, tausende akkreditierte Professionelle und gut zweihundert Stars und Regisseure werden kommen - und am Abend bei der großen Eröffnung standen dann die für manche schönsten Männer der Welt braungebrannt auf dem Roten Teppich vor dem strahlend weißen modernistischen, unter dem Faschisten-Diktator Mussolini erbauten Kinopalast am Lidostrand: George Clooney und Brad Pitt.

Nun ist das Konzept "Star" zwar älter als das Kino. Und es gibt Stars auch außerhalb des Kinos. Heute mehr denn je: In Politik - Obama! -, Sport - Phelbs! -, Fernsehen, Pop, Wirtschaft, etc. Jeder Bereich prägt seine Stars aus: Star-Köche, Star-Designer, Star-Frisöre, Star-Anwälte. Die Medien selber produzieren ihre eigenen Stars. Man spricht von Star-Journalisten, Star-Moderatoren etc.

Die zunehmende Personalisierung der Medienberichterstattung in allen Bereichen, führt dazu, dass jeder Sektor unseres Lebens seine vermeintlichen Stars ausbildet. Hier ist nur die Berühmtheit der Maßstab, im Falle der "Superstars" Jesus Christus oder Che Guevara auch ihre Wirkung. Erfolg und "Außeralltäglichkeit" wie es der Soziologe Max Weber nannte, können Menschen zu Stars machen.

Man kann streiten, ob diese "Star-Inflation" nicht zur Verwässerung des Startums führt, langfristig zu seinem Verschwinden. Stattdessen haben wir "Celebrity" und "Promininenz". Da die Gesellschaft ihre eigenen Stars produziert und die Gegenwartsgesellschaft eine Massengesellschaft ist, ohne Hierarchien, zu der jeder gehört, kann jeder auch ein Star werden: Vgl. "Deutschland sucht den Superstar".

Aber voräufig, das zeigt Venedig, sind die eigentliche Heimat der Stars die Leinwände und Bildschirme, sind bewegte Bilder. Hier werden die Stars geboren, die Muster vorgeprägt, nach denen der Umgang mit Stars auch in anderen Bereichen sich richtet. Selbst in der Pop-Musik, lange ein relativ unabhängiger Faktor, wird der Erfolg heute von Clipsendern wie MTV bestimmt. Wenn am Abend die Berühmtheiten über den roten Teppich schreiten, begleitet von Fanschreien und dem Blitzlichtgewitter der Fotografen, erscheint Kino plötzlich als die große Schau, für die es manche halten, als Inszenierung pur

Weil Stars im Massenzeitalter nurmehr hinter Absperrungen existieren können, erscheinen sie den Massen bloß noch im Kleinformat der Medien. Ihre Festivalpräsenz reduziert sich auf den kurzen Weg zur Gala des eigenen Films. Dafür gibt es in Cannes die berühmte Treppe, in Venedig den Laufsteg, in Berlin gar nichts.

Genau genommen verrät wenig sonst dem Außenstehenden soviel über einen Star, als wie der sich auf dem roten Teppich eines Festivals wie Venedig verhält. Wie schnell er oder sie geht, wie oft sich einer umdreht, wie viele Lächel-Varianten einer beherrscht. Wichtig ist auch, wer mit wem geht. Welchen Star führt der Regisseur am Arm? Wo geht der Produzent? Stellt man sich zum gemeinsamen Foto? Was zieht man überhaupt an? Und wie geht man eigentlich? Langsamkeit gehört zur Kunst des Teppich-beschreitens, schließlich muss man jeden Meter nutzen, auch die Breite auskosten; Man grüßt einen Bekannten oder behandelt die Fotografen wie Bekannte. Aber Vorsicht: Nur nicht gemein machen, Distanz wahren, Star sein. Gerade Amerikaner machen es gern wie bei Sportveranstaltungen: Lachen, Schreien, Fäuste Hochrecken, zwei Finger zum Victory-Zeichen.