Die Spaßbremse der Revolution

Soderberghs langer Marsch: "Che" floppt bei den Filmfestspielen von Cannes

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Lang, sehr lang ist er erwartet worden. Zehn Jahre hat man daran gearbeitet. Und wie um diese ganze Anstrengung zu dokumentieren, ist der fertige Film jetzt gleichfalls lang, sehr lang geworden. Nun fragt man sich, wofür das alles?

Che, das Biopic über den ikonischen Posterboy der Weltrevolution von Hollywood-Independent Steven Soderbergh ("Sex, Lies and Videotape", "Oceans Eleven"). Oder sind es doch zwei Filme, "Che 1" und "Che 2"? Schließlich zerfällt alles klar in zwei gleich lange Teile, und bei der ersten Vorführung bei den Filmfestspielen von Cannes gab es am Mittwoch eine viertelstündige "Intermission", bei der die Produktion in sandfarbener Papiertüte mit "Che"-Aufschrift die ermüdete Weltpresse mittels Sandwich und Wasserflasche für die zweite Hälfte der Weltrevolution mit Proviant versorgte. Oder war das, was man hier in Cannes zu sehen bekam, am Ende doch nur ein viereinhalbstündiger Rohschnitt, die Vorstufe zu einem Film auf üblicher Spielfilmlänge, der hier allen Bedenken zum Trotz gezeigt wurde, damit Produktion und der einflussreiche Weltvertrieb "Wild Bunch" nicht ein Jahr warten oder auf die im Vergleich viel unbeliebteren Verkaufsplätze Venedig oder Berlinale ausweichen müssen?

Che von Steven Soderbergh: ein Desaster?
Che von Steven Soderbergh: ein Desaster?

Letztendlich zählt das Ergebnis. Und das ist, kurz gesagt, ein einziges Desaster. Ein langatmiges, träges Stück Film - ohne Focus, ohne Idee, ohne Mut, ohne Esprit. Die größte Enttäuschung des bisherigen Festivals, ein Film, der nichts Erkennbares sein will, nur erkennbar alles Mögliche nicht ist.

Che im Dschungel. Er keucht ziemlich, vor allem am Anfang, damit die Zuschauer schnell kapieren: 'Der Mann hat Asthma' und denken: 'Was für ein Exempel an Selbstüberwindung!'. Trotz Asthma hat Che ziemlich oft einen Zigarrenstumpen zwischen den Zähnen. Mal ist der Dschungel so dicht, dass ein Buschmesser zum Einsatz kommt, dann wieder ist der Blick offen für den Weg, der noch vor ihnen liegt. Inserts im Film informieren: '367km nach Havanna', '287km nach Havanna' und so fort.

Von den vier Stunden und achtundzwanzig Minuten, die Steven Soderberghs Film "Che" dauert, befinden sich Film und Zuschauer etwa dreieinhalb Stunden gemeinsam im Dschungel. Dazwischen ist in Schwarzweiß die Rede bei der UNO geschnitten, nachgestellt natürlich wie der Rest des Films, der fast völlig auf Dokumentaraufnahmen verzichtet, sie dort allerdings, wo er sie verwendet, nicht gerade konsequent und nach keinem durchschaubaren Prinzip einsetzt. Dazwischen auch zweimal Momente eines Abends 1955, an dem Che angeblich für die Revolution gewonnen wurde. Eine Szene mit Weib und Kindern, mehr nicht.

Die interessantesten Teile der Lebensgeschichte des Argentiniers Ernesto "Che" Guevara, spart Soderbergh aus, so konsequent, dass man dahinter ein System vermuten muss: Nichts über den Aufstieg Ches innerhalb der kubanischen Revolution. Nichts über das durchaus gespannte Verhältnis zu Fidel Castro. Nichts über seine Zeit als kubanischer Minister. Nichts über die Monate in Afrika. Nichts über die Hintergründe der Bolivienmission. Nichts über Beweggründe, Motive. Nichts über seine Kindheit. Keine Psychologie. Keine Küsse mit Frau Aleida oder Tamara Bunke. Wenn überhaupt, dann erlebt man Che als den Spaßverderber der Revolution, der Askese predigt, der seinen Mitstreitern jedes noch so kleine Vergnügen, auch in der Stunde des Sieges, versagt.

Stilistisch wirkt alles wie eine schlechte Fernsehdokumentation, die alle hässlichen und abgründigen Seiten ihres Gegenstandes ignoriert. Nie wird das Charisma klar, über das Che Guevara doch ganz offenkundig verfügte, nie versteht man die Realität des "Mythos Che". Aber über die Widersprüchlichkeit der realen Figur erfährt man auch nichts. Was bleibt, ist ein reichlich geschöntes, dabei völlig blutleeres Tagebuch Che Guevaras.