Die Wut von Jean Claude Juncker

"Europa versteht Russland nicht, weil es nicht will", so fasst ein polnischer Journalist seine Erfahrung mit dem EU-Spitzenkandidaten der Konservativen zusammen

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Das für die polnische Gazeta Wyborcza vorgesehene Interview mit Jean-Claude Juncker, Spitzenkandidat der Konservativen in der Europawahl, konnte diese Woche nicht erscheinen. Zu sehr waren sich der polnische Journalist und der konservative Politiker aus Luxemburg in die Haare geraten.

Eigentlich eine Randnotiz aus dem journalistischen Alltag, so etwas kommt immer wieder vor. Dennoch ist der Streit bezeichnend für den unterschiedlichen Blick auf Russland, den man im westlichen Europa und den ehemaligen Ostblockländern hat, die heute der EU angehören.
"Europa versteht Russland nicht, weil es nicht will", so fasst der polnische Journalist Bartosz T. Wileński seine Erfahrung mit dem Kandidaten für die EU-Kommission zusammen. Wileśki erklärte Juncker, die Sanktionen würden keinen Effekt haben, da Russland und seine Bewohner viele Krisen aushalten könnten. Juncker hielt dies für "Quatsch".

Der Konservative, der lange Zeit das Großherzogtum Luxemburg als Ministerpräsident regierte, betonte, dass die Sanktionen schrittweise eingeführt werden müssten, um dem Kreml Gesprächsmöglichkeiten zu signalisieren. Als sein polnisches Gegenüber entgegnete, dass ein solches Verhalten in Moskau als Schwäche gewertet würde, geriet Juncker in Rage. Nach zehn Minuten wurde das Interview ganz undiplomatisch abgebrochen.

Eigentlich beruht der Erfolg des sonst stets angenehm wirkenden Luxemburgers auf seinem diplomatischen Talent. Der mehrsprachige Vertreter eines Minilandes vermied stets jegliche Kraftmeierei, trat als Vermittler zwischen den Großen auf, gern zwischen Deutschland und Frankreich, und vertrat dabei nebenher die Luxemburger Interessen. Vielleicht liegt die Wut Junckers daran, dass er erkannte, dass dieses alte Erfolgsrezept nicht funktioniert. Aber das ist Spekulation.

Für den Polen war der Fall jedenfalls symptomatisch: Westliche Politiker können sich nicht vorstellen, dass Russland die Genfer Vereinbarungen nicht einhalten wird. Es fehle Brüssel ein Thinktank, der sich mit Russland beschäftigt und über das bloße "Deeskalieren" mehr Tiefe über das russische Gegenüber vermittle. Als Vorbild nannte der polnische Journalist das bundesdeutsche BIOST, das 2000 geschlossen wurde, oder das noch bestehende "Zentrum füröstliche Studien" in Warschau, das jedoch kein Geld habe, in Brüssel einen Ableger zu einzurichten.

Die Spannungen zwischen den westeuropäischen Politikern und den Vertretern der Balten und Polen, die manchmal ein wenig hysterisch wirken, wird das Verhältnis zu Russland noch länger bestimmen. Erstere fürchten vor allem wirtschaftspolitische Folgen eines zunehmenden Konflikts mit dem Kreml, letztere haben geopolitische Sorgen. Gegen einen Russland-Thinktank in Brüssel wäre an sich nichts einzuwenden. Doch wer wird dort arbeiten dürfen und wer bestimmt darüber?