Die deutsche Raser-Religion

130-km/h-Limit, hier in Frankreich. Bild: Marc Mongenet, CC BY-SA 4.0

Tempolimits haben viele Vorteile, weil fast alle Länder sie eingeführt haben. Nur in Deutschland will man am freien Rasen auf der Autobahn festhalten

Es wird einsam um Deutschland. Rund herum in Europa gelten auf den Autobahnen Geschwindigkeitsbegrenzungen. In den Niederlanden sind ab dem vergangenen Jahr zum Beispiel tagsüber nur noch 100 Kilometer pro Stunde erlaubt.

Und was man so hört, verhungert dort niemand auf der Autobahn. Alle kommen ans Ziel und das auch noch deutlich entspannter, wie Fahrer von dort berichten.

Bei 130 km/h dicht aufzufahren, um andere Überholende zur Seite zu drängeln, womöglich noch mit Lichthupe, ist eher eine deutsche Spezialität. Gehört vermutlich zur Leitkultur.

Auch weltweit gibt es nur noch sehr wenige Länder, die auf ihren Autobahnen unbegrenztes Rasen zulassen. Indien war lange Zeit eines davon, aber auch dort gilt für vierspurige "Expressways" seit einigen Jahren maximal 120 und auf anderen Fernstraßen 100 km/h. Versuche der extrem rechten Bundesregierung in Neu-Delhi, das Limit hochzusetzen, sind bisher an den Gerichten gescheitert.

Nur hierzulande wird das Tempolimit, diese billigste und einfachste aller Klimaschutzmaßnahmen, zur Glaubensfrage hochstilisiert, an der man gegebenenfalls sogar Regierungen scheitern lassen würde. 2021, im zweiten Jahr der Pandemie und angesichts der sich entfaltenden Klimakrise. Deutschlands Luxusprobleme.

Dabei gibt es neben dem Klimaschutz eine ganze Reihe anderer Gründe, die für eine generelle und nicht zu hohe Geschwindigkeitsbegrenzung sprechen. Weniger Feinstaub, weniger Feinstaub und nicht zuletzt mehr Tempo.

Höhere Geschwindigkeit bedeutet mehr Stau

Mehr Tempo? Durchaus. Bei hohen Geschwindigkeiten bilden sich nämlich bei dichtem Verkehr viel leichter Staus. Schon ein einfaches Antippen des Bremspedals kann im Extremfall dazu führen, dass hinter dem bremsenden Fahrer ein kilometerlanger Stau entsteht.

Die Vereinten Nationen haben derweil die laufende Dekade zum Jahrzehnt der Sicherheit im Verkehr ausgerufen. Verkehrsunfälle seien eine schleichende Pandemie. Weltweit werden bis 2030 rund 13 Millionen Tote und 500 Millionen Verletzte auf den Straßen befürchtet.

Um das zu verhindern, wird unter anderem die Verbesserung der Straßeninfrastruktur gefordert. Vor allem brauche es aber Höchstgeschwindigkeiten. Für Städte werden 30, für außerorts 80 und für die Autobahnen 100 Kilometer pro Stunde vorgeschlagen.

Außerdem sollten Autos künftig Fahrassistenten haben. In der EU sind diese bei Neuzulassungen ab dem nächsten Jahr tatsächlich vorgeschrieben und könnten dann Motoren im Idealfall automatisch entsprechend dem jeweils geltenden Limit runterregeln.

Voraussetzung sind dafür Sender, die dem Assistenten die jeweils zulässige maximale Geschwindigkeiten mitteilen. Der Haken an der EU-Vorschrift: Die Assistenten dürfen abstellbar sein.

Übrigens: Angesichts der explodierenden Infektionszahlen und den vollkommen überlasteten Pflegekräften in den Intensivstationen, in denen kaum noch genug Betten zur Verfügung stehen, wäre zumindest ein temporäres Limit dringend angesagt, um die Zahl der Unfallopfer zu vermindern. Telepolis hatte bereits vor einem Jahr über derlei Maßnahmen in Spanien berichtet.