Doppelte Standards?

China kritisiert die Türkei im Zusammenhang mit dem schweren Bombenanschlag auf eine Friedensdemonstration am Samstag in Ankara

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Die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua hat am Dienstag einen Kommentar veröffentlicht, der sich in ungewohnt kritischem Ton mit der Politik der türkischen Regierung auseinandersetzt. Der schwere Bombenanschlag auf eine Friedensdemonstration, bei dem am vergangenen Samstag in Ankara über 100 Menschen getötet wurden, sei eine Erinnerung daran, dass ein Land, das in Sachen Terrorismus doppelte Standards verfolge, sich schließlich selbst zum Opfer derartiger Anschläge mache.

Diese Kritik zielt zunächst vor allem auf die türkische Rolle im syrischen Bürgerkrieg und die Angriffe gegen die türkisch-kurdische PKK. Der chinesische Autor, dessen Text in diesem Fall mit ziemlicher Sicherheit von der Staats- und Parteiführung abgesegnet sein wird, zitiert "tausende türkischer Trauernder", die dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan vorwerfen, "mit seiner Kampagne gegen kurdische Kämpfer nationalistische Stimmung anzuheizen".

In einer für chinesische Stellungnahmen typischen indirekten Art wird damit zu verstehen gegeben, dass der Autor das ähnlich sieht. Das gleiche gilt für die zitierte Kritik eines hochrangigen russischen Parlamentariers, der auf eine Verbindung zwischen dem Anschlag und der Haltung der Türkei in der "Syrien-Krise" hingewiesen habe. Ganz direkt wird der Regierung in Ankara vorgeworfen, die Grenzen für syrische Kämpfer geöffnet zu haben und diese mit Waffen zu versorgen, die größtenteils in den Händen des IS landeten. Im Vorfeld der Wahlen würden die türkischen Angriffe sich statt gegen den IS ganz überwiegend gegen die PKK richten.

Bemerkenswert ist diese ungewohnt offene Kritik insofern, als die Türkei eher als potenzieller Bündnispartner Chinas gelten sollte. Auf jeden Fall ist der Regierung in Beijing sehr am Ausbau des Handels mit ihr gelegen. Außerdem ist der Staat am Bosporus ein wichtiger Baustein in Chinas Seidenstraßen-Strategie. Mit viel diplomatischer Energie und tendenziell auch mit großen Summen an Kapital verfolgt die chinesische Führung seit einiger Zeit ein Projekt, mit dem in etwa entlang der alten Routen der Seidenstraßen, die einst Europa und Südasien mit dem Reich der Mitte verbanden, die Verkehrs- und Handelsinfrastruktur ausgebaut werden soll.

Attraktiv ist die Türkei für China auch wegen ihrer rasch wachsenden Wirtschaftskraft, die sich in den vergangenen 15 Jahren etwas mehr als verdreifacht hat. 2013 erwirtschafteten knapp 75 Millionen türkischer Bürger 10.950 US-Dollar pro Kopf (9.600 Euro nach aktuellem Kurs). Kaufkraftbereinigt waren das immerhin 18.750 US-Dollar, womit die Türkei nur knapp hinter den EU-Mitgliedern Kroatien und Ungarn, aber noch vor Bulgarien lag.

Derweil hat die chinesische Kritik noch einen Subtext, der auch in der von Xinhua zitierten Kondolenz-Botschaft durchscheint, die Chinas Präsident und KP-Vorsitzender Xi Jinping Erdogan aus Anlass des Anschlags gesandt hatte. China sei gegen Terrorismus in jeder Form und verurteile Anschläge gegen Zivilisten aufs Schärfste. Das lässt sich auch als Kritik an der Politik der Türkei gegenüber uigurischen Nationalisten und Islamisten aus Chinas westlicher Provinz Xinjiang verstehen, die in der Türkei ein komfortables Exil finden und oft mit türkischen Pässen ausgestattet werden. Ein Teil von ihnen arbeitet mit Gruppen zusammen, die in China für verschiedene Bombenanschläge verantwortlich gemacht werden und vermutlich auch für einen Bombenanschlag in Thailands Hauptstadt Bangkok verantwortlich waren.

Mehrere hundert Uiguren sollen angeblich auf Seiten des IS kämpfen. Im syrischen Idlib, südwestlich von Aleppo und unweit der türkischen Grenze, gebe es im von Oppositionsgruppen kontrollierten Gebiet ein Trainingscamp für chinesisch-uigurische Kämpfer und dort würden auch deren Familien angesiedelt. Die dort dominierende Jabhat-al-Nusra habe auch zahlreiche Tschetschenen und Usbeken in ihren Reihen, schreibt Asia Times Online.