Ein feste Burg ist unser Gott

Blog aus Cannes: Protestantischer Terror - Michael Hanekes Cannes-Wettbewerbsbeitrag "Das Weiße Band" ist der Film zum Bremer Kirchentag.

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Schuld und Sühne in Norddeutschland, der Terrorzusammenhang eines protestantischen Pfarrhauses, die Gewalt der Väter und die Bosheit des Gewissens - Michael Hanekes Das Weiße Band, der jetzt bei den Filmfestspielen von Cannes Premiere hat, ist der Film zum heute beginnenden protestantischen Kirchentag in Bremen.

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Alle Bilder: Les Films du Losange

Das Weiße Band ist ein ungewöhnlicher Haneke: Erstmals seit 1996 hat der Österreicher wieder auf Deutsch gedreht, in einem Dorf in der Uckermarck, das wirkt, als sei es nach hundert Jahren frisch aus dem Dornröschenschlaf erwacht. Dort siedelt Haneke das Portrait eines kleinen norddeutschen Dorfes im Jahre 1913/14 an: Es gibt den Gutsherrn (Ulrich Tukur) und den Lehrer (Christian Friedel), den Arzt (Rainer Bock) und den - natürlich evangelischen - Pfarrer (Burghart Klaussner), den Verwalter (Josef Bierbichler), die Bauern. Es gibt die Frauen (Leonie Benesch, Ursina Lardi, Steffi Kühnert, Susanne Lothar). Und vor allem die Kinder.

Lauter Archetypen. Das Leben geht seinen Gang, sonntags fehlt keiner in der Kirche und man singt "Ein feste Burg ist unser Gott". Zu Erntedank wird der Psalm 104 gelesen ("Aller Augen warten auf Dich, Herr und Du gibst ihnen ihre Speise zu rechten Zeit.") , dann darf man sich besaufen.

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Doch dann kommt es zu einer Serie merkwürdiger Unfälle und Verbrechen, und die gleichförmige Ruhe ist erschüttert.

Mit hoher historischer Genauigkeit hat Haneke einen Film über die autoritäre Gesellschaft gemacht. Es ist eine Welt, wie sie - für die Stadt und für andere Klassen - Schnitzler, Thomas Mann, Bernhard von Brentano und viele andere beschrieben haben, nur noch etwas strenger und repressiver, denn die Verhältnisse sind halt weniger gebildet. Die Kinder sagen "Herr Vater", die Mütter schweigen oder haben Migräne, und die Väter erziehen mit der Reitgerte.

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Es geht also weniger um Klassenunterschiede, auch nicht um Bildungsdifferenzen, denn wie wenig das bringt, kann man immer wieder sehen, auch wenn der Lehrer, hier auch Erzähler aus dem Off, ein wenig zum Hort des Guten wird. Mehr geht es um die Brutalität, die alle Teile der Gesellschaft über ihre Unterschiede hinweg gemeinsam durchdringt, um die Wahrheit hinter jenem etwas zu idyllischen Bild jener "Welt von Gestern" (Stefan Zweig), die durch den Sommer von Sarajewo unrettbar zerstört wurde. Eine Zeit, die eben nur im nostalgischen Rückblick mit sich im Reinen war und von Zuversicht geprägt. "Böswilligkeit, Neid, Stumpfsinn und Brutalität..." so beschreibt hier einmal eine Figur die universale Primitivität, die sie umgibt. Die Kinder spiegeln, was ihnen geschieht: Väter, die ihre Kinder prügeln, sie nachts ans Bett fesseln, damit sie nicht onanieren können, oder die sie sexuell missbrauchen.

Vor allem aber erzählt der Katholik Haneke, der einen Teil seiner Kindheit in Schweden verbrachte, von Protestantismus und den Abgründen eines protestantischen Pfarrhauses - im Stil der ruhigen, präzisen Schwarzweiß-Bilder erinnert das oft an die Schuld und Sühnedramen Ingmar Bergmans. Der Wahrheitsterror des Pfarrers, die scheinbar therapeutischen Verhörrituale, der Selbsthass der gesamten Familie, die Idealisierung der Reinheit.

Der Titel stammt von einem Ritual, das im Pfarrhaus üblich ist. Haben die Pfarrerskinder "gesündigt", bekommen sie eine weiße Schlaufe an Haar oder Arm. "Die weiße Farbe soll Euch an Unschuld und Reinheit erinnern."

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Man kann in all dem auch einen - natürlich unbeabsichtigten - Kommentar zu Lars von Triers Hexenfilm "Antichrist" sehen, der hier zu Beginn der Woche für Skandal sorgte. "Hör auf zu flennen! Ich glaub' an keine Hexen und Zauberer!" Das, was hier ein Ermittler einem jungen Mädchen sagt, das von Traumvisionen berichtet, das ruft hier Haneke über die Leinwand hinweg auch Von Trier zu.

Und was all das mit der Lage des heutigen Protestantismus zu tun hat - darüber kann man sich bestimmt ein Bild machen, wenn man die Debatten und Programmpunkte des Bremer Evangelischen Kirchentags verfolgt, der am Mittwochabend begonnen hat.