Einsatz und Sporen geben!

In Deutschland sollen über eine Milliarde Überstunden unbezahlt geleistet werden

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Wie viel über die eigentlich ausgehandelte und auch gesetzlich vorgeschriebene Zeit hinaus tatsächlich gearbeitet wird, kann als Gesprächsthema manchmal eigenartige Kurven nehmen. Zwar ist die Klage über die Überforderung immer mit im Spiel, plötzlich kann aber schon im privaten Kreis die Stimmung umschlagen und plötzlich stehen die, die auf festgesetzte Arbeitszeiten insistieren und dies auch mit einigem Selbstbewusstsein beim Arbeitgeber durchsetzen, als unkollegial da ("Weil du Sport machen willst, müssen das die anderen büßen!"). Dazu kommt manchmal ein Wettbewerb, der von der traditionellen Wertschätzung der Arbeit unterlegt ist und vom Fleiß als Tugend befeuert wird ("Was du gehst schon um 19 Uhr nachhause?"). Schlechtes Gewissen, das wettbewerblich wichtige Ja zu Ehrgeiz und Leistung und vor allen Dingen die Angst, den Arbeitsplatz möglicherweise an jemanden zu verlieren, der mehr Zeit aufwenden will oder kann, ergeben ein leicht entfachbares Motivationsbündel, das viele mitmachen lässt beim außerordentlichen Einsatz und der Bereitschaft dazu.

Genaue Zahlen über tatsächlich geleistete Überstunden und wie sie entgolten werden, gibt es nicht. Für 2010 schätzte das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln, dass rund 1,25 Milliarden Überstunden angefallen seien - rund 43 pro Arbeitnehmer -, ob sie alle bezahlt wurden, geht aus dem Bericht nicht hervor. Die Zahl wird in dem Bericht als Indiz dafür genommen, dass es der Wirtschaft nach der Krise wieder besser ging, wenn auch nicht die Werte der Jahre vor der Krise erreicht wurden. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung dokumentiert die Entwicklung der letzte Jahre und bestätigt in seiner Statistik die genannte Zahl für 2010: 1.248.000.000. Man kann also davon ausgehen, dass es eine offizielle Zahl von Überstunden ist, mit der sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer auseinandersetzen mussten, um sie auszugleichen.

Nach Schätzungen von Experten, die etwa im Manager Magazin im Jahr 2007 zitiert werden, kommt "auf jede bezahlte Überstunde kommt mindestens eine weitere unbezahlte". Eine ebensolche Schätzung von nicht genannten Experten begründete nun die verguetung-eine-milliarde-ueberstunden-sind-unbezahlt/70045831.html: Meldung der Financial Times Deutschland, wonach eine Milliarde Überstunden jährlich nicht bezahlt würden.

Der Bericht liefert dazu noch andere Zahlen, die das Phänomen umreißen. Sie stammen allerdings aus einer nicht-repräsentativen Befragung von rund 600 Arbeitnehmern im Auftrag des "Karriereportals Monster", das damit natürlich PR betreibt. So ist Vorsicht angebracht gegenüber der Validität der Zahlen. Aber die Verhältnisse, die damit angedeutet werden, erscheinen durch Alltagserfahrungen plausibel, auch wenn manche ein scharfes Bilder der Arbeitswirklichkeit wiedergeben: So machen 96 Prozent Überstunden und mehr als die Hälfte der befragten Arbeitnehmer, 55 Prozent lassen sich laut FTD "breitschlagen, Mehrarbeit ohne Vergütung zu leisten".

Interessant ist die FTD-Formulierung zu dem knappen Drittel, die Überstunden mit Freizeit abgegolten bekommen: "Gut 30 Prozent der Befragten können die Überstunden immerhin abbummeln" - da ist die Hängematte nicht weit... Dass nach der Berufsarbeit noch manches zu erledigen ist, was ebenso den Begriff Arbeit verdient, so weit geht der Realismus der Finanzzeitung nicht. Außer Leistung im Brotjob gibt es nur "Lazy-Sein", eine bemerkenswerte Sicht.

Eine reguläre Vergütung bekommen laut der Umfrage übrigens nur neun Prozent der Beschäftigten, zwei Prozent würden anderweitig abgegolten.