Epidermoidal links

Die Außenhautpolitik einer Präsidentengattin

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Die deutlich vernehmbaren, lauten skandierenden Rufe der Menge auf der Straße "machen (ihr) Angst", verrät sie, nachdem der Chefredakteur der Zeitung das Fenster geschlossen hat. Die Szene ( Video) mit dem Straßensound der 68er zeigt aber einen ziemlich aktuellen Mix: Die Gattin eines Präsidenten, der konservative Politik betreibt, der aber nebenbei den Muff an ehrwürdigen Traditionen seines Amtes kapriolesk auf- und durcheinander wirbelt wie keiner zuvor, als Gast bei einer "linksliberalen" Zeitung - anlässlich der anstehenden Veröffentlichung ihrer neuen CD - , wo sie versucht sich im juste Milieu der linksdrehenden Kultur so auszudrücken, dass sie möglichst wenig falsch macht.

Denn alles wird schnell in Marketing- und Imageimulse getaktet, übersetzt und weiterverwertet und Carla Bruni hat das Problem, dass sie mit ihrer PR-Tournee auch Punkte für Sarkozy sammeln soll, weil dessen Imageberater wissen, dass die ausgerufene Wiedereroberung ( La Reconquête) seiner Popularität unter den Franzosen am besten über die Gattin läuft. Wenn sich die Briten Bruni brünftig und mit steifer Oberlippe imponieren lassen und George Bush von der Erkenntnis geblitzt wird, dass er nun wisse, warum Sarkozy diese Frau geheiratet habe, warum den haushaltseigenen Medienstar nicht charmant im Ratingkampf im eigenen Land einsetzen. Das ist die eine Seite.

Die andere Seite sind die Anforderungen, die in Frankreich an jemanden gestellt werden, die Chansons macht, ein Genre, das gerne mit bestimmten Ansprüchen verbunden wird: allen voran Authentizität, Unabhängigkeit, kritisches Bewusstsein und eine Stimme, die nicht nur schöne Lieder singt. Das heutige Interview mit Libération zeigt, wie Bruni diese Anforderungen geschickt mit einer "empfindlichen Außenhaut" abwehrt.

Während bei Altlinken das Herz der Sitz ihres Linkseins ist, hat Bruni ein neues Organ für die Linken entdeckt - die Epidermis: "Mes réflexes épidermiques sont de gauche". Das ist nicht unelegant, weil es der Liedermacherin-Präsidentin gestattet, authentisch-empfindlich zu bleiben, ohne Herz und Kopf zu riskieren. Doch so gut der Verweis auf die äußere Haut symbolisch für den kritischen Hinweis auf die Zuwanderungspolitik Sarkozys taugt – die Gattin stößt sich an den DNA-Test, die der Präsident an Einwanderern durchführen will -, so deutlich zeigt er auch den billigen Einsatz, der ohne Inhalt auskommt. Die erwähnten politischen Pläne Sarkozys sind so umstritten und über viele politischen Lager hinweg als kontrovers gebrandmarkt, dass es auch nichts kostet, sie als Indiz kritischen Bewusstseins herauszuheben.

Der Preis, den Carla Bruni für ihre aufwändiges Doppelspiel bezahlt, ist die komplette Unverbindlichkeit und die Äußerung unfruchtbarer Allgemeinplätze, wie viele andere Aussagen des Interviews bestätigen:

"Das Internet ist ein Ort außerhalb der Gesetz. Aber Freiheit bedeutet nicht, dass man außerhalb der Gesetze ist. Keiner von uns kann gesetzlos sein. Das ist das Prinzip der Demokratie."

Alles wird zum Klischee, das sich immerfort selbst bestätigt. Nichts Neues, keine Courage, dommage.