Erfolgsstrategie für Wahlkämpfer: Kein Programm!

Protestparteien sollten auf Inhalte verzichten

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Die Kleinparteien, die in Deutschland relativ gesehen die größten Zuwächse erfuhren, eint, dass sie im Zeitpunkt ihres Wahlerfolgs kein bzw. kein von der Öffentlichkeit wahrgenommenes Programm hatten, sieht man einmal vom jeweiligen Kernthema ab. AfD und Die PARTEI legten bei der jüngsten EU-Wahl zu, auch Ein-Themen-Parteien wie Familie, Tierschutz, ÖDP und NPD gelang der Sprung ins Europäische Parlament. Schwach schnitten die einst als programmlos geltenden Piraten ab, die ein inzwischen ein Programm bieten, das sich von den meisten Mitbewerbern kaum unterscheidet. Nachdem man im „Piratenfrühling“ 2012 die junge Partei als Projektionsfläche und Wundertüte sah und auf ein Wählerpotential von 15% schätzte, ernüchterte der Zauber, als die Newcomer sich schließlich als eine mäßig gelungene Kopie von Grünen und Linkspartei kommunizierten. Im jüngsten Wahlkampf reduzierten die Piraten den Konsens verbliebener Wähler, indem sie ihre Social-Media-Kanäle ideologisch linientreuen Piraten überließen, die sogar die offiziellen Piratenpartei-Tweets mit weltfremden Gender-Sternchen codierten.

Die AfD hingegen hatte die Phase der Ernüchterung zumindest noch bis nach den Europawahlen aufgeschoben. Vor der Wahl nutzten die AfD-Strategen professionell vor allem Social Media, die vermutlich mit PR-Agenturen bespielt wurden, und profitierten von der Negativ-PR ihrer Kritiker, die sogar ihr taz-Abo kündigten, weil diese eine vergleichsweise harmlose Wahlanzeige druckte. Statt Aufwertung durch Boykott und identitätsstiftender Verteufelung hätte man der AfD wohl ungleich mehr schaden können, hätte man ihr im Gegenteil möglichst ausgiebig Gelegenheit zur eigenen Blamage und öffentlichen Selbstdemontage gegeben. Während es im Fühjahr 2012 den Piraten nutzte, dass man sie mit Dreck bewarf, profitierte diesmal die AfD von den unfreiwilligen Wahlhelfern.

Aktuell kracht es nun erwartungsgemäß in der AfD, weil nicht wenige Alternativdeutsche plötzlich überrascht sind, dass die junge Protestpartei wohl doch dem rechten Lager verbundener ist, als mancher wahr haben wollte. Während die AfD bei den Kommunalwahlen ohne Programm auskam und etwa in Hamburg die gleichermaßen unbedarfte SCHILL-Partei neu aufträgt, bedarf es keiner prophetischen Gabe, dass sich die einander noch eher unbekannten AfD-Kameraden beim Bekennen von Farbe langfristig auseinanderdividieren werden. Nicht einmal eine programmatisch denkbar schlicht gestrickte Kleinpartei wie die NPD bietet genug Einheit: der Ex-Vorsitzende der deutschnationalen Asyl-Gegner wanderte jüngst ins spanische Mallorca aus, wo er die dortige Ausländerfreundlichkeit genießt.

Die Erfahrung der PARTEI mit einem Jahrzehnt konsequent populistischer Programmlosigkeit wurde vergangenen Sonntag belohnt, nämlich mit Bezügen iHv ca. 30.000,- € pro Gesäß, das im Monatsrhytmus den erkämpften Sitz in Straßburg bekleiden wird. Die PARTEI selbst erwirtschaftete als Wahlkampfkostenerstattung satte 750.000,- €, was das tatsächliche Wahlkampfbudget von gerade einmal 960,- € definitiv abdeckt und beachtliches Talent für Ökonomie signalisiert. Die Mittel könnten sinnvoll bei den im August und September anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg eingesetzt werden, etwa in Form von Sponsoring der PARTEItypischen C&A-Anzüge, die zum Verdruss der PARTEIgänger inzwischen statt 49,95 € nunmehr 79,95 € kosten.

Die PARTEI darf nun nicht wie andere der Versuchung erliegen, doch noch Inhalte anzubieten. Angesichts des Zuspruchs rechter Parteien in Ostdeutschland wäre die PARTEI gut beraten, sich auf ihre Kernkompetenzen wie inhaltslosen Patriotismus etwa mit Fackelmärschen durchs Brandenburger Tor zu konzentrieren. Die jüngste Unterstützung der AfD durch die PARTEI mit eigenen Plakaten war insoweit ein richtungsweisender Ansatz. Kurz nach der bevorstehenden Fußballweltmeisterschaft, die erfahrungsgemäß die nationale Identität stärken wird, dürfen die Wähler von einer populistischen Partei entsprechende Anreize erwarten. Als fataler Fehler könnte sich insoweit der Schulterschluss mit Gregor Gysi erweisen, was das Konzept der Inhaltslosigkeit fahrlässig verwässert.

Nachdem die PARTEI mit Martin Sonneborn in den Medien einen Sympathieträger installierte, der insbesondere im linken und ökologischen Spektrum großen Zuspruch erfährt, präsentierte die PARTEI nun als weiteres Identifikationsangebot den auch PARTEIintern nicht unumstrittenen Oliver Maria Schmitt zunehmend in der Öffentlichkeit. Bei einem Talkshow-Auftritt bei Markus Lanz konnte Schmitt mit seinen Ringelsöckchen von möglichen Inhalten ähnlich souverän ablenken wie seinerzeit der glücklose Pirat Johannes Ponader mit seinen Sandalen. Schmitt ist vor allem für orientierungslose Wähler interessant, die sich von der Arroganz eines Bernd Lucke beeindrucken lassen. Da es bei den kommenden Landtagswahlen noch die 5%-Klausel zu überwinden gilt, ist es für Populisten ratsam, die Sehnsucht der entsprechend anfälligen Wählerschaft nach einem starken Mann zu bedienen und auf der heimatlich-nationalen Klaviatur zu spielen.