Fukushima: Leben in der verstrahlten Zone

Auch drei Jahre nach der Havarie ist die Not der Betroffenen Anwohner groß. Vermutlich hätte ein wesentlich größeres Gebiet evakuiert werden müssen

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Am dritten Jahrestag des katastrophalen Tsunamis, der einen Teil der japanischen Küste verwüstete, rund 20.000 Menschen das Leben kostete und zusammen mit dem vorhergehenden Erdbeben zur dreifachen Reaktorkatastrophe in Fukushima Daiichi, nordöstlich von Tokio, führte, leben noch immer viele Menschen im Ungewissen über ihre Zukunft. Der psychische Stress sei so hoch, berichtete dieser Tage auf einer Konferenz in Hongkong die japanische Aktivistin Shoko Murakani, dass es zu einem erheblichen Anstieg der Sterberaten in der Region geführt habe.

110.000 Menschen sind seinerzeit auf Anordnung der Regierung evakuiert worden und weitere rund 50.000 haben ihre Wohnungen aufgrund eigener Entscheidungen verlassen. Ein Teil von ihnen musste einige Wochen später wieder nach einer neuen Unterkunft suchen, da die Behörden die Angaben über die Belastung nicht in einen vernünftigen Evakuierungsplan umgesetzt haben. Die maximale Kontaminierung hatte sich nämlich nicht an schöne geometrische Formen gehalten, sondern sich nach Nordwesten weit über die halbkreisförmigen Evakuierungszonen ausgestreckt, wie die unten wiedergegebene Abbildung illustriert. Man hatte also Menschen zum Teil in stark belastete Zonen gebracht.

Drei Jahre später leben noch immer viele bei Verwandten oder in Behelfsunterkünften. Nur etwa 20.000 Menschen konnten oder wollten in ihre Wohnungen zurück kehren. Unglaubwürdige Angaben der Regierung über die Belastung in den weiter bewohnten Gebieten würden die Menschen zermürben, so Murakani. Der soziale Druck auf jene, die den offiziellen Beschwichtigungen nicht glauben mögen, sei enorm und würde die Betroffenen zusätzlich belasten. Auch Ehen seien schon darüber zerbrochen. Meist seien die Männer dagegen, aus der Region weg zu ziehen und die Frauen – oft aus Sorge um die Kinder – dafür. In der Präfektur Fukushima leben etwa zwei Millionen Menschen.

Caesium-Kontaminierung im Umkreis der havarierten Fukushima-Reaktoren. Weitere Erläuterungen im Text. Bild METEX

Obige Karte stellt die Belastung durch die radioaktiven Isotope Caesium 134 und Caesium 137 dar. Ersteres hat eine Halbwertzeit von etwa 2, Letzteres von rund 30 Jahren. Die Angaben sind in Becquerel pro Quadratmeter (Bq/m2), wobei Becquerel einem radioaktiven Zerfall pro Sekunde entspricht. Die gewählte Skala verharmlost die Belastung eher. In den roten Gebieten wurden 3 bis 30 Millionen Bq/m2 gemessen, in den hellblau markierten immer noch 300.000 bis 600.000 Bq/m2. Für die dunkelblauen wird nur kleiner als 300.000 Bq/m2 angegeben, was immer noch sehr viel sein kann. Zum Vergleich: Nach der Reaktorkatastrophe im ukrainischen Tschernobyl war in Deutschland das südliche Bayern am stärksten kontaminiert worden, wo noch heute in einigen Regionen vom Verzehr von Pilzen abgeraten wird. Dort hatte man seinerzeit 10.000 bis 40.000 Bq/m2 gemessen. (Näheres zum Skalenvergleich hier.)

Nur in der 20 Kilometerzone, in der Grafik durch den innersten Kreis dargestellt, wurde von der Regierung verbindlich evakuiert. Die US-Regierung hatte seinerzeit ihre Bürger zum Verlassen der 80-Kilometerzone aufgefordert. Wie an dieser vom japanischen Wissenschaftsministerium MEXT veröffentlichten Karte abzulesen ist, fällt der Rand der roten Zone in etwa mit einer Belastung von 10 Mikrosievert (µSv) pro Stunde zusammen. Im Kernbereich, insbesondere in Nähe der Havaristen war sie noch ein Vielfaches größer. Eine zweite Karte unter dem gleichen Link zeigt für die gleiche Region 20 Millisievert (mSv) und für einen größeren Umkreis 10 mSv, die bis zum 21. April über vermutlich rund 1000 Stunden aufintegriert wurden. Die Gebiete mit einer dieser Belastung reichen über die 30 Kilometerzone hinaus.*

Auch ein Jahr später zeigt sich noch ein ähnliches Bild. In einer weiteren Karte ist die bis zum 11. März 2012 aufintegrierte Strahlenbelastung dargestellt. Es zeigt sich, dass in Richtung der Kontaminationsfahne die Belastung auch außerhalb der 20-Kilometer-Zone noch teilweise 100 mSv pro Jahr und mehr betrug. Außerhalb der 30-Kilometer-Zone finden sich noch einige wenige Gebiete mit Belastungen von deutlich über 50 und größere mit Belastungen über 30 mSv pro Jahr. In Deutschland gelten nur 0,0001 mSv pro Stunde als unbedenklich. Die Strahlenschutzkommission empfiehlt bei einer Belastung von 30 mSv pro Jahr eine temporäre und ab 100 mSv pro Jahr eine langfristige Umsiedlung.

Die japanische Regierung ist also bei der Festlegung der Evakuierungszonen, die letztlich auch für die Kompensatiom der Betroffenen entscheidend sind, deutlich weniger vorsichtig vorgegangen, als es hiesige Strahlenschutzexperten empfehlen. Passend zu dieser Politik hatte die japanische Regierung, so Shoko Murakani am Wochenende in Hongkong, ihren eigenen Richtwert für unbedenkliche Belastung von einem auf 20 mSv pro Jahr heraufgesetzt (der deutsche liegt weiter bei einem mSv pro Jahr).

Derweil ist Japans extrem konservative Regierung inzwischen fest entschlossen, so viele AKW wie möglich wieder ans Netz zu bringen. Da aber die Mehrheit der Bevölkerung weiter dagegen ist, wie nach Murakanis Angaben die Meinungsumfragen zeigen, und weil bei Entscheidungen über den Betrieb der Anlagen auch örtliche Politiker ein gewichtiges Wort mitzureden haben, dürfte die Regierung mit ihrem Atomkurs weiter Schwierigkeiten haben. Am vergangene Sonntag demonstrierten erneut 30.000 AKW-Gegner vor dem japanischen Parlament in Tokio.

* Dieser Beitrag wurde vom Autor aufgrund eines Hinweises eines Lesers verändert, für den wir uns hiermit bedanken möchten. Die Karten waren zunächst falsch interpretiert und von uns daher viel zu hohe Werte angegeben worden.