Grenzen europäischer Streik-Bewegungen

Erstmals wurde gleichzeitig in verschiedenen europäischen Ländern gestreikt und protestiert, doch die Beteiligung war höchst unterschiedlich

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Der geplante europäische Generalstreik ist, nüchtern betrachtet, ausgefallen. Letztlich hat sich der Generalstreik auf große Teile der "iberischen Halbinsel" beschränkt. In Portugal war er besonders stark, in Spanien war er in weiten Teilen des Landes immer noch deutlich spürbar. Er war allerdings schwächer als der Generalstreik gegen die Arbeitsmarktreform im März, wie letztlich auch die beiden großen spanischen Gewerkschaften zugeben mussten.

Ein Problem in Spanien war, dass sich die beiden großen spanischen Gewerkschaften den Termin nicht mit den Basken abgestimmt haben und versuchten, ihn ihnen aufzudrücken. In Portugal konnte dagegen die kommunistisch dominierte CGTP einen Teil der Gewerkschaften aus dem kleineren Verband UGT und unabhängige Gewerkschaften mit ins Boot holen, was zu einem sehr erfolgreichen Streik führte. Da aber die Basken schon im September mit dem sechsten Generalstreik (bei fünf streikten die spanischen Gewerkschaften nicht mit) gegen die spanische Sparpolitik das Baskenland lahmgelegt hatten, riefen sie nun nicht erneut auf. Das hatte auch damit zu tun, die Basis nicht zu überfordern. Schließlich kostet jeder Streiktag die Beschäftigten etwa 100 Euro, der vom Lohn abgezogen wird. Die baskische Linke rief nur dazu auf, sich an den Demonstrationen der Anarchosyndikalisten zu beteiligen. Es war auch ein Protest dagegen, dass die großen spanischen Gewerkschaften die Basken aus Verhandlungen stets ausgrenzen und sich nicht mit ihnen abstimmen.

Die Griechen haben sich praktisch nicht beteiligt

Dass Generalstreiks aber stets nach nationalen Gesetzmäßigkeiten ablaufen, konnte sehr deutlich gestern in Griechenland beobachtet werden. Der große griechische Gewerkschaftsdachverbände GSEE hatte zwar zum Generalstreik aufgerufen, doch der geplante dreistündige Streik soll nach Berichten aus Athen nicht einmal in der Hauptstadt spürbar gewesen sein. Nur etwa 5000 Menschen demonstrierten am Mittag vor dem Parlament. Das ist nicht verwunderlich, denn nach etlichen Generalstreiks wurde in der vergangenen Woche sogar zwei Tage gestreikt, weil die Verabschiedung eines des nächsten von der Troika diktierten Sparpakets anstand. Ob die Gewerkschaften "vaterländisch gespalten" oder massive Streiks an konkrete Anlässe im eigenen Land wie die die Verabschiedung der Sparhaushalte gerade in Spanien und Portugal gebunden sind, muss diskutiert werden. Klar ist, dass sich die Menschen dann einfacher mobilisieren lassen und sie dann schneller bereit sind, Opfer zu bringen. Das ist sicher ein Ergebnis des "gesamteuropäischen Aktionstags", den der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) ausgerufen hatte.

Dass auch die Franzosen sich eher an eigenen Terminen orientieren, wurde ebenfalls am Mittwoch sehr deutlich, als in Paris nur 5000 Demonstranten für "Arbeitsplätze, Solidarität mit Europa, kein Spardiktat" auf die Straße gingen. Es stellt sich die Frage, ob Slogans wirklich von einer breiten Masse geteilt werden, dass "alle Griechen, Portugiesen, Italiener, Spanier" seien und "als solche für ein anderes Europa kämpfen" müssten, wie es die Gewerkschaft Solidaires verkündete. Ende September gingen in Paris aber Zehntausende aus Enttäuschung über den Sozialisten Hollande auf die Straße. Er ist weitgehend auf den Sparkurs a la Merkel eingeschwenkt und stützt besonders auch die spanischen Konservativen, wo immer er nur kann. Wenn Hollande den eingeschlagenen Kurs weitergeht, wird er sicher wie Sarkozy zuvor ebenfalls auf erbitterten Widerstand stoßen. Auch in Belgien blieben die Proteste eher schwach. Auch dort gab es schon starke Generalstreiks, die auch die Grenzen zwischen Flamen und Wallonen überwunden haben. Die Streiks, vor allem bei der Bahn und im öffentlichen Nahverkehr, blieben auf den Süden des Landes (französischsprachige Wallonie) beschränkt. In Flandern herrschte weitgehend Normalität, es gab aber auch in Brüssel Demonstrationen. Etwa 2000 Menschen zogen vor die EU-Kommission. Aber allein in der südbelgischen Arbeiterstadt La Louvière demonstrierten mit 3500 Menschen mehr Menschen als in Brüssel. Auch das hatte damit zu tun, dass hier bei Duferco und NLMK 600 Arbeitsplätze gestrichen werden sollen.

Deutlich spürbar war der Protesttag in Italien

In Rom gingen zahllose Menschen auf die Straße. Hier hatte die große CGIL auch dazu aufgerufen, für vier Stunden die Arbeit niederzulegen, weshalb im Land auch viele Betriebe bestreikt wurden. Allein in der kleinen Industriestadt Terni demonstrierten 20.000 Menschen. Das hatte damit zu tun, dass Thyssen Krupp ein großes Stahlwerk schließen will. In Terni kritisierte das die CGIL-Generalsekretärin Susanna Camusso als Symbol dafür, wie die "Sparmaßnahmen das Land abwürgen". Die von Brüssel diktierte "Kürzungen führen zum Niedergang", sagte sie.

"Diese sogenannte Sanierungspolitik verarmt die EU-Länder und sorgt für eine riesige Welle der Arbeitslosigkeit". Italien stürze immer tiefer in die Rezession, es werde "ärmer und ihm wird die Zukunft geraubt", fügte Camusso als Kritik gegen die Regierung Monti an, die vor einem Jahr ohne Wahlen an die Macht kam. Die Industriestadt Mailand war schon am Morgen praktisch lahmgelegt, weil im öffentlichen Nahverkehr nichts mehr ging. In Rom legten streikende Schüler und Studenten die Stadt weitgehend lahm, weil es überall Demonstrationen gab. Auch in anderen Städten ging die Polizei mit Gewalt gegen Demonstranten vor.

Über die Vorgänge in Malta und Zypern, wo ebenfalls Generalstreiks geplant waren, liegen keine Informationen vor. In Deutschland muss man es als peinlich ansehen, wenn in der Hauptstadt Berlin gerade einmal "einige hundert" Menschen an der zentralen Veranstaltung des DGB teilnahmen, der Millionen Gewerkschaftsmitglieder vertritt. Symbolisch wurde am Brandenburger Tor wurde eine riesige Europafahne ausgerollt. Rolf Wiegand von der größten Einzelgewerkschaft Ver.di begrüßte, dass "dass Millionen Menschen auf die Straße gehen und sich nicht alles gefallen lassen von den Banken und Spekulanten". Allein in Köln brachten unabhängige Gruppen mehr Leute auf die Straße.

Obwohl es einen umfassenden und einigenden Streik in Europa nicht gab, den der portugiesische Gewerkschaftschef Arménio Carlos angestoßen hatte, ist es ein Erfolg, dass erstmals fast die gesamte Iberische Halbinsel mit Ausnahme des Baskenlands effektiv bestreikt wurde. Es sollte den großen spanischen Gewerkschaften eine Lehre sein, nicht das zu kopieren, was man an Brüssel kritisiert. Man sollte sich an einen Tisch setzen und Streiks gemeinsam abstimmen und beschließen, statt sie anderen überzustülpen. Was mit Portugal und anderen Verbänden möglich war, wird auch im Baskenland funktionieren. Der Tag hat aber gezeigt, dass das Bewusstsein in den einzelnen Regionen und Ländern sehr unterschiedlich ist und sich Mobilisierungen immer an den örtliche Gegebenheiten orientieren müssen, um erfolgreich zu sein.