Griechenland: "Es reicht"

- mit der griechischen Regierung oder mit der europäischen Austeritätspolitik? Gerade Gabriel und andere SPD-Politiker inszenierten sich in den letzten Tagen als Scharfmacher gegen die griechische Reformregierung

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Wieder einmal läuft der berühmte Countdown und wieder wird gerätselt, ob Griechenland nun aus den Euro fliegt oder nicht. Für den konservativen Politikberater Werner Weidenfeld gehören die ganzen Aufgeregtheiten zur Inszenierung:

Die Aufgeregtheit jetzt, die Sie in jeder neuen Meldung jede Stunde haben, das gehört zur Inszenierung des Machtspiels. Das beunruhigt mich nicht, sondern so wie Sie jedes Theaterstück analysieren können, können Sie auch dieses Machtspiel und diese Inszenierung analysieren.

Wettbewerbsfähigkeit oder Solidarität

Doch hinter diesen Theaterdonner stecken handfeste politische Differenzen, die seit dem Regierungswechsel in Griechenland offen zu Tage treten. Hier das von Deutschland angeführte wirtschaftsliberale Europa, das sich wettbewerbsfähig für den Weltmarkt machen will. Mittels einer knallharten Austeritätspolitik soll dieses Ziel umgesetzt werden.

Dem gegenüber stehen die Kräfte, die unter dem Schlagwort solidarisches Europa weitere Opfer für den Markt verweigern. Sie fordern einen Richtungswechsel und treten für ein sozialeres Europa ein, was immer auch darunter verstanden werden soll. Die Auseinandersetzung über den Umgang mit den griechischen Schulden ist im Grunde ein Kräftemessen zwischen unterschiedlichen Vorstellungen von Europa.

Dabei scheint das von Deutschland dominierte Europa klar im Vorteil. Schließlich steht dahinter nicht nur eine beträchtliche ökonomische und politische Macht. In den letzten Wochen hat sich gezeigt, dass die unterschiedlichen Machtfraktionen zusammenrücken, wenn es darauf ankommt.

So schien es in den letzten Tagen so, als würden die EU-Institutionen und der IWF darin wetteifern, wer am kompromisslosesten gegenüber der griechischen Regierung auftritt. Selbst die USA-Regierung hat in den letzten Tagen den Druck auf die griechische Regierung erhöht und sie aufgefordert, einen pragmatischen Vorschlag zu machen.

Dass es zwischen US-Regierung und der EU in der Frage der Austeritätspolitik Streit gab und die USA vor allem Deutschland davor warnte, mit ihrer Politik die Wirtschaft im EU-Raum zu erdrosseln, scheint ebenso vergessen, wie auch die Querelen zwischen EU-Institutionen und IWF. Dabei sind diese Differenzen, die aus unterschiedlichen Interessenlagen erklärbar sind, nur aufgeschoben. Aber gegen eine Regierung, die einen grundsätzlichen Kurswechsel innerhalb des Kapitalismus vorschlagen hat, werden die Reihen geschlossen.

Griechenland und das Europa der Empörten

Die scheinbare Einsamkeit der griechischen Regierung rührt gerade daher her, dass die Eliten ahnen, dass es Millionen Menschen in Europa gibt, die durchaus Hoffnung in einen Erfolg der griechischen Regierung setzen.

Nur sitzen die nicht an den Regierungen und gehören nicht zum Machtkartell. Es sind die Menschen, die in den letzten fünf Jahren Teil der Krisenproteste gewesen sind, die zumindest in den Ländern der europäischen Peripherie ein realer Machtfaktor waren. Es ist das Europa, das sich besonders bei Proteste in Griechenland und in Spanien, aber auch in anderen Ländern, gezeigt hat, das Polizeirepression ausgesetzt war, das zeitweise resigniert hat, aber den Traum von einem Leben, das nicht den Marktgesetzen unterworfen ist, nicht aufgegeben hat

Dieses Europa hofft auf einen Erfolg Griechenlands und die harte Haltung der Institutionen und des IWF rühren auch daher, dass verhindert werden soll, dass das griechische Beispiel Schule macht. Die Mächtigen ziehen dabei alle Register, um die Ausbreitung des solidarischen Gedankens möglichst schon in den Anfängen zu ersticken.

Dabei kommt ihnen auch zugute, dass der moderne Kapitalismus die Konkurrenz aller gegen alle auch in den Unterklassen enorm fördert. So gibt es neben dem solidarischen Europa auch ein Europa des Sozialchauvinismus, das Menschen, die in einer schlechten sozialen Lage sind, dafür selber verantwortlich macht.

Es ist das Europa, das am letzten Wochenende in der Schweiz sogar eine moderate Steuererhöhung von Vermögenden abgelehnt hat. Es ist das Europa, das darauf verweist, wie viele Opfer man bereits gebracht hat für den Standort Europa. Ein Erfolg des sozialen Europas würde in ihren Augen ihre Opfer als sinnlos erscheinen lassen. Deshalb unterstützen sie das Europa der Konkurrenz und zetern besonders laut über die undankbaren Griechen, die sich erdreisten, keine Opfer mehr bringen zu wollen.

SPD-Politiker verschärfen Ton gegen Griechenland

In den letzten Tagen waren es vor allem Sozialdemokraten, die sich als Scharfmacher gegen die griechische Reformregierung inszenierten. So warnte der SPD-Bundestagsabgeordnete Joachim Poß in einem Deutschlandfunk-Interview vor einer "unheilvollen Wirkung zwischen linken und rechten Populismus".

Dabei hat gerade der SPD-Vorsitzende Gabriel eine Kostprobe in rechten Populismus gegeben und dafür die darin geübte Bild-Zeitung genutzt: "Überall in Europa wächst die Stimmung Es reicht", lautet der Aufmacher. Den Höhepunkt von Gabriels Populismus hat Bild dann gleich fett gedruckt. Der SPD-Chef sagte gegenüber dem Boulevardblatt:

Deshalb werden Europa und Deutschland sich nicht erpressen lassen. Und wir werden nicht die überzogenen Wahlversprechen einer zum Teil kommunistischen Regierung durch die deutschen Arbeitnehmer und ihre Familien bezahlen lassen.

Das Bild von den griechischen Alt- und Halbkommunisten, für die der deutsche Steuerzahler Geld ausgeben soll, ist schon nahe an der Propaganda der extremen Rechten. Besondere Brisanz bekommen diese Ausfälle vor dem Hintergrund der Reparationsforderungen der griechischen Regierung an Deutschland.

Man kann so die Ausfälle Gabriels ebenso wie die Bild-Kampagne gegen weitere Griechenlandhilfen vor einigen Monaten als eine besondere Form der Schuldabwehr gegenüber einem Land interpretieren, das Deutschland, das mit seiner Vergangenheit abgeschlossen hat, unbezahlte Rechnungen aus der NS-Zeit präsentiert.

Beginn der Solidarität auf der Straße?

Nun konnte kein politischer Beobachter erwarten, dass ausgerechnet die SPD sich mit der griechischen Regierung solidarisiert. Manche, die die SPD-Parolen von einem sozialeren Europa ernst nahmen, hatten zumindest erwartet, dass die Partei die Chance ergreift, sich als Mittler in Szene zu setzen. Zu ihnen gehört der sozialdemokratische Ökonom Gustav A. Horn, der heftige Kritik an der Diktion von Gabriel übte.

"Es gab SPD-Vorsitzende, die sich für so etwas geschämt hätten", mutmaßt Horn. Relativ weit wagt sich der DGB vor, wenn er Gabriels Verdikt derart verändert:

Es stimmt. Es reicht mit der sinnlosen Sparpolitik.

Auf der DGB-Facebook-Seite wird auch daran erinnert, dass Europas Sparpolitik für Verarmung und den Abbau von Arbeitnehmerrechten verantwortlich ist. Diese innersozialdemokratischen Auseinandersetzungen könnten die Chancen für eine wahrnehmbare außerparlamentarische Solidaritätsbewegung mit Griechenland vergrößern.

Unter dem sehr vagen Motto Europa anders machen plant eine republikweite Protestbewegung eine Demonstration der außerparlamentarischen Bewegung. Die europäische Flüchtlingspolitik ist dabei ebenso im Fokus der Kritik wie die Austeritätspolitik. Die Demonstration soll auch ein Auftakt für eine transnationale Griechenlandsolidaritätswoche sein. Auch in vielen anderen Ländern sind Solidaritätsaktionen mit Griechenland geplant.

Es wäre zu wünschen, dass die ganzen Inszenierungen rund um Griechenland durch eine Bewegung von unten ersetzt werden. Statt Merkel dazu aufzufordern, in Europa aktiver für die Interessen Griechenland einzutreten, wie es Spiras kürzlich verlautbarte, sollte besser gefragt werden, ob es möglich ist, von Unten genug Druck für solche Forderungen aufzubauen.