Groteskes Missverhältnis

Kunstfälscher zu sechs Jahren Haft verurteilt

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Gestern wurde der Kölner Maler Wolfgang Beltracchi vom Landgericht Köln des "gewerbsmäßigen Bandenbetrugs" für schuldig befunden. Er hatte zahlreiche Bilder hergestellt, die Lücken in der Kunstgeschichte auf so überzeugende Weise füllten, dass sie von praktisch allen Experten für echt gehalten wurden. Auch renommierte Auktionshäuser und Galerien fielen reihenweise auf sie herein.

Das lag unter anderem daran, dass Beltracchi nicht Picasso imitierte, sondern eher Maler mittleren Ranges, bei denen ein plötzliches Auftauchen unbekannter oder verschollener Bilder weniger öffentliches Aufsehen erregte und glaubhafter war. Dabei nützte ihm, dass in der Nazizeit zahlreiche Bilder verschwanden, deren Namen noch in alten Katalogen aufgeführt waren. Um das plötzliche Auftauchen solche Werke zu erklären, machten Beltracchis Ehefrau Helene und sein Komplize Otto S.-K. aus ihren Großvätern Kunstsammler. Außerdem beklebte der Künstler die Rahmen der angeblichen Bilder von Malern wie Max Ernst und Max Pechmann mit ebenfalls gefälschten Galerie- und Sammleretiketten.

Die Staatsanwaltschaft warf dem alten Hippie vor, mit seinen Werken über einen Zeitraum von 30 Jahren geschätzte 16 Millionen Euro verdient zu haben. Inwieweit dadurch jemanden tatsächlich ein dauerhafter Schaden entstand, ist nicht klar. Es kann gut sein, dass Beltracchis Werke im Wert steigen. Die Elmyr de Horys, eines anderen talentierten Fälschers, den Orson Welles in seinem Film F for Fake portraitiert, stiegen nach seinem Tod so sehr im Wert, dass Fälschungen der Fälschungen am Markt auftauchten. Zudem sind Beltracchis Bilder nicht nur Gemälde, sondern auch Objekte einer Aktionskunst, die zeigte, dass die Preise auf dem Kunstmarkt ebenso selbstbezüglich sind wie die von "innovativen Produkten" auf dem Finanzmarkt.

Trotzdem wurde er auch nach einem Deal mit dem Gericht noch zu sechs Jahren Haft verurteilt. Beltracchis Verkäufer Otto S.-K. erhielt fünf, seine 53-Jährige Ehefrau Helene vier Jahre. Vergleicht man diese Strafen mit dem Anti-Aggressions-Training, das ein Kölner Bandenkrimineller absolvieren musste, nachdem er einen 40-jährigen Familienvater vor den Augen seiner kleinen Kinder ins Koma geprügelt und einem Mittäter zur Einschüchterung für dessen Aussage bei der Polizei die Nase gebrochen hatte, dann wird klar, dass es in der deutschen Justizpraxis und im deutschen Strafrecht ein groteskes Missverhältnis gibt, dem sich bisher noch keine Partei angenommen hat.