Gut gestellte Frauen, die zuhause trinken

Abgründe der britischen und dänischen Mittelklasse

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Disclaimer: Bei Weihnachtsfeiern in oberbayrischen Kindergärten wird Alkohol in Form von Glühwein ausgeschenkt; die Kleinen bekommen selbstverständlich nur Kinderpunsch, über die Gefahren der Ausgabe alkoholisierter Getränke an Kinder - in früheren Festzeiten nicht unüblich - ist man sich offensichtlich im Klaren. Schockierend bleibt die Ausgabe von Alkohol an Erwachsene im Beisein von Schutzbefohlenen nach wie vor für manche Amerikaner. So kann es eine US-Autorin nicht fassen, dass britische Eltern dagegen protestierten, dass eine Schulveranstaltung ohne Alkohol für Eltern abgehalten werden sollte.

Die Fassungslosigkeit der Autorin gegenüber diesem haltlosen europäischen Gebaren - "What's next?" I joked at the time. "Smoking pot at PTA meetings?" - gründet auf einer aktuelle britisch-dänische Untersuchung. Diese macht auf einen versteckten, regel- und übermäßigen Alkoholkonsum innerhalb der britischen Mittelklasse aufmerksam. Demnach gehen berufstätige, gut ausgebildete Frauen in Großbritannien und Dänemark öfter, als ihnen nach medizinischen Vorgaben gut täte, angetrunken ( "pretty woozy") zu Bett. Sie trinken, verborgen von der öffentlichen Wahrnehmung, privat.

Die Studie, ist in der aktuellen Ausgabe des Probation Journal veröffentlicht, und hat zum Ziel ein "nuancierteres Verständnis des Verhältnisses zwischen Alkohol, den wechselnden Lebensumständen von Frauen und der nordeuropäischen Trinkkultur". Die beiden Autorinnen, Fiona Measham von der Lancaster University und Jeanette Østergaard vom Danish National Centre for Social Research räumen darin mit ein paar Klischees auf. Vor allem mit dem der jungen britischen Frauen, genannt "Ladettes" , die nach dem Vorbild betrunkener Lads wie Pete Doherty vornehmlich torkelnd unterwegs sind.

Die Trinkexzesse weiblicher Binge-Drinker, die in der Öffentlichkeit für viel Aufsehen gesorgt haben, seien seit einigen Jahren im stetigen Rückgang, stellen die Studienverfasserinnen fest. Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen weisen auf ein ganz anderes Phänomen hin, dessen Wahrnehmung eben von solchen spektakulären Klischees verdeckt werde: der übermäßige Genuss von Alkohol - mit fließenden Grenzen zum Problemtrinken - von gut situierten, gut ausgebildeten, gut verdienenden Frauen, die nicht mehr jung genannt werden.

In den vier Schlüsselkategorien - wöchentliches Trinken, häufiges Trinken, unmäßiges Trinken und Rauschtrinken (i.O. "binge drinking") seien Frauen mit "besseren Berufen" (i.O. "women in managerial and professional occupations") mit größerer Wahrscheinlichkeit vertreten als Frauen, die in anderen Sektoren arbeiten. Darüberhinaus sind Frauen, die einem Vollzeitberuf nachgehen, häufiger in solchen Kategorien - weekly drinkers, frequent drinkers, immoderate drinkers and binge drinkers - zu finden als Frauen, die einen Teilzeitjob haben, arbeitslos sind oder "ökonomisch nicht aktiv". Das höhere Haushaltseinkommen korreliere mit mehr Alkohol-Einheiten, die die Frauen zu sich nehmen. Der Hang zum Glas zuhause unter Frauen über 30 sei zudem steigend.

Als Erklärung führen die Verfasser unter anderem eine Art Toscana-These an:

"It may be that it is this idealised Mediterranean model of more frequent wine drinking within the home which presents less acute but possibly more chronic alcohol related problems when overlaid on traditional British and Danish drinking cultures".