Hat Platon einen Geheimcode in seinen Schriften versteckt?

Ein britischer Wissenschaftler glaubt, den musikalischen Code entschlüsselt zu haben

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Lange wird schon über eine mögliche Geheimlehre Platons gestritten. Der griechische Philosoph hat bekanntlich gesagt, dass er wenig von der schriftlichen Übermittlung philosophischer Erkenntnisse hält. Die bekannten Dialoge könnten also nur intellektuelle Spielereien sein, zur Sache könnte es im Garten der Akademie vor Athen gegangen sein, in die niemand eintreten sollte, der sich der Geometrie verweigerte. Möglicherweise gibt es also eine ungeschriebene Lehre. Nur wie diese lauten soll, ist natürlich reine Spekulation, schließlich ist alles nur Gesagte, was nicht aufgeschrieben wurde, verschwunden.

Der britische Wissenschaftler Jay Kennedy will nun zwar nicht die mysteriöse Geheimlehre des einflussreichen Philosophen entdeckt haben, aber er ist überzeugt, dass er Platons Schriften dechiffriert hat. Der Philosoph soll nämlich geheime Botschaften in seinen Schriften versteckt haben. Für Kennedy hat er in der Nachfolge von Pythagoras, der von einem musikalischen, mithin mathematischen Universum ausging, seine Dialoge so gestaltet, dass auch sie Botschaften, eine Flaschenpost für die Kundigen, enthalten.

In der Zeitschrift Apeiron hat Kennedy seine Entschlüsselungsversuche veröffentlicht. Er behauptet, ein wenig wie ein Verschwörungstheoretiker, dass es in den Schriften noch viel zu entdecken gebe. Platon hat, fragt sich nur warum, mit den Lesern gespielt, nach Kennedy nicht, um sie zur Geheimlehre zu führen, sondern um sie, wie die in der Höhe Eingeschlossenen, die Wahrheit hinter dem Schein entdecken zu lassen.

Nach Kennedy soll Platon in der Politeia regelmäßig, also stichometrisch, nach jedem Zwölftel des Textes Worte versteckt haben, die mit Musik zu tun haben. Überhaupt sei in vielen Dialogen die Teilung durch 12 bedeutsam. Beispiele:

* The Apology is 1200 lines, or 100 per twelfth.
* The Protagoras, Cratylus, Philebus, and the Symposium are each 2400 lines, or 200 per twelfth.
* The Gorgias is 3600 lines, or 300 per twelfth.
* The Republic is 12,000 lines, or 1000 per twelfth.
* the Laws is 14,400 lines, or 1200 lines per twelfth

Warum eine Zwölfereinteilung? Die griechische Musik ging nämlich von 12 Tönen aus, die harmonisch oder dissonant sein konnten. Wo es um Harmonie ging, soll Platon mit Liebe oder Lachen verbundene Töne beschrieben haben, wenn es um Dissonanz geht, soll es um Krieg oder Tod gehen. Das ist zwar nicht sonderlich raffiniert und eigentlich auch nichts, um es zu verstecken. Kennedy meint allerdings, Platons eigentliche Lehre sei für ihn gefährlich gewesen, weil sie davon ausging, dass nicht Götter, sondern mathematische Gesetze die Welt lenken (mathematische Ontologie). Platon sei auch deswegen vorsichtig gewesen, weil Sokrates wegen seiner Philosophie sterben musste.

Ob Platon tatsächlich bei der Abfassung seiner Dialoge einer musikalisch-mathematischen Struktur folgte, wird vermutlich Ansichtssache bleiben. Kennedy geht jedenfalls davon aus, dass Platons Schriften mit dem musikalischen Geheimcode überaus bedeutungsvoll seien. Platon habe schließlich die Menschheit von der Orientierung auf eine Kriegergesellschaft zu einer Gesellschaft der Weisen verändert: "Heute sind unsere Helden Einstein und Shakespeare – und nicht Ritter in glänzenden Rüstungen." Auch da mag man gerade während der Fußballweltmeisterschaft, aber auch sonst angesichts der politischen Wirklichkeit zweifeln. Recht viel schlauer wird man aber nach der angeblichen Dechiffrierung der platonischen Dialoge auch nicht, die offenbarten Geheimnisse wirken zudem platter als die kunstvoll ausgeführten Dialoge selbst.