"Herr Thierse ist die personifizierte Ansehensschädigung des deutschen Parlaments"

Der Bundestagsvizepräsident wird wegen seiner Teilnahme an der Sitzblockade gegen Neonazis scharf von Polizei und FDP kritisiert

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Gerade sind Politiker in Berlin noch gefeiert worden, weil sie gemeinsam mit anderen Demonstranten und Anwohnern des Prenzlauer Bergs den Aufmarsch von 700 Neonazis in Berlin am 1. Mai durch eine Sitzblockade verhindert haben. Nach nur 500 m war es Ende mit dem Aufzug.

Auch Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD), dessen Wahlkreis der Prenzlauer Berg ist, hatte sich der Sitzblockade angeschlossen. Vor allem gegen ihn richtet sich nun die Kritik der Polizei. Die Gewerkschaft der Polizei verurteilte bereits gestern das Verhalten von Thierse als "würdelos", weil er sich "an einer rechtswidrigen Sitzblockade anlässlich eines sogenannten rechten Aufzuges in Berlin beteiligt hat".

Er und andere Kommunal- und Landespolitiker der Grünen und der SPD hätten "mithilfe ihres Abgeordnetenstatus" hinter die Polizeisperren gelangen können. Der Aufforderung, die Straße zu räumen, um "die Sicherheit der Demonstranten und der eingesetzten Polizisten nicht zu gefährden", seien sie nicht nachgekommen, auch nicht einem Platzverweis. Erst als die Polizei beginnen wollte, die Blockierer wegzutragen, hätten sie ihre Aktion beendet. "Es ist unerträglich, wenn Vertreter von Verfassungsorganen aus billigem Populismus gegen Recht und Gesetz verstoßen", so GdP-Bundesvorsitzender Konrad Freiberg. "Bei allem Verständnis für die Wut auf Neonazis lässt sich die Demokratie sicher nicht durch Rechtsbruch verteidigen." Warum es sich dabei um "billigen Populismus" handelt, erklärte Freiberg aber nicht.

Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) schloss sich der Kritik an und versucht, sie noch zu überbieten, indem sie den Rücktritt von Thierse fordert. Bundesvorsitzender Rainer Wendt erklärte, dass nur auf rechtsstaatliche Weise gegen Rechtsextremisten demonstriert werden dürfe: "Niemand muss sich über den Verlust von staatlicher Autorität wundern, wenn höchste Amtsträger öffentlich dokumentieren, dass Rechtsbruch zulässig sei. Herr Thierse ist die personifizierte Ansehensschädigung des deutschen Parlaments, er sollte schleunigst zurücktreten." Und auch sonst trat Wendt noch weiter nach: "Man kann nicht während der Woche mit Dienstwagen und Fahrer den Staatsmann spielen und am Wochenende als Salonrevoluzzer auf der Straße sitzen und Polizeikräfte behindern."

Der angeschlagenen FDP kommt die Kritik gerade recht. Björn Jotzo, stellvertretender Fraktionsvorsitzender und innenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin, sprach von einer rechtswidrigen "PR-Sitzblockade" von SPD- und Grünenpolitiker: "Die beteiligten Politiker haben in Verletzung ihrer Vorbildfunktion und aus reiner Öffentlichkeitsgeilheit sowie parteipolitischen Interessen eine Verschärfung der angespannten Lage mutwillig in Kauf genommen. Die zuständige Staatsanwaltschaft muss zeitnah prüfen, wie Sie das rechtswidrige Aufhalten eines genehmigten Demonstrationszuges durch die Beteiligten bewertet, ob als Ordnungswidrigkeit oder als Straftat."

Update: Mittlerweile haben auch SPD- und CDU-Politiker Thierse wegen des möglicherweise begangenen Rechtsbruchs kritisiert

Thierse rechtfertigt seine Aktion noch einmal auf seiner Website, wo er schreibt: "Unser Protest war friedlich, fröhlich und gewaltfrei. Nachdem die Polizei mehrfach dazu aufgefordert hatte und ein Einsatzleiter der Polizei mich im persönlichen Gespräch bat, die Sitzblockade aufzuheben, verließ ich mit seiner Hilfe widerstandslos die Fahrbahn. Denn unser Protest richtete sich nicht gegen die Polizei, sondern gegen die Nazis. 'Die Beamten erfüllen ihre polizeiliche Pflicht und wir Demonstranten tun unsere staatsbürgerliche Pflicht.' Ich bin froh, dass an diesem Tag 10.000 Berliner die Courage hatten, sich den Nazis in den Weg zu stellen, um ihre Straßen und Plätze zu verteidigen und den Missbrauch des 1. Mai durch Rechtsextreme zu verhindern."