"Ich besitze ein sehr, sehr großes Haus"

Wie der britische Spesenskandal zur Neiddebatte wird

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Seit 14 Tagen grüßt der britische Telegraph täglich mit neuesten Variationen des großen Spendenskandals: "The Expense Files" heißt die Enthüllungsserie über das Spendengebaren der Parlamentarier. Die Daily Soap hält die Leser mit Geschichten an der Stange, die zeigen, zu welcher Phantasie und List Abgeordente imstande sind, wenn es darum geht, Spesen zu maximieren.

Selbst für nüchterne deutsche Steuerberater, die nie um Geschichten verlegen sind, die die Metamorphose von rein privaten Ausgaben zu beruflich notwenigen zum Stoff haben, dürfte sich manches aus dem Repertoire der britischen Parlamentarier zum Schenkelklopfer für Steuerberaterrunden eignen: Vom Futtergeld für Schoßhündchen, Geld für Tennisplätze und privaten Gärten, für die Entfernung von Maulwurfshügeln, der Einrichtung einer schwimmenden Enteninsel im Teich, der Kosten für TV-Apparateund andere Unterhaltungselektronik, Pornofilmleihgebühren, Geld für Neudekoration der Einrichtung, auch beim Auszug, für Möbel, antike Teppiche, Chauffeurskosten, Kleidung bis hin zu Tilgungszinszahlungen und Kreditenabzahlungen für falsch deklarierte Zweit- und Erstwohnungen, darunter etwa 66.000 Pfund Kostenerstattung für eine angebliche Zweitwohnung, 13. 000 Pfund für eine schon abbezahlte Hypothek - der "Spesenmaximierung", wie das ein deutsches Wirtschafts-Magazin nennt, mangelt es nicht an Kühnheit und Einfallsreichtum.

Die britischen Steuerzahler müssen nun außer den täglichen Nachrichten, die die Liste immer noch länger machen, auch ertragen, dass die Abgeordneten in der Mehrheit das Gefühl haben, "Nichts Falsches" getan zu haben, da die Rechtslage hier viele Freiräume bietet. Der Grund für die Krise - die sich in den Augen von Beobachtern zu einer veritablen Staatskrise auswächst -, wird von Angehörigen der politischen Elite weniger im eigenen Umgang mit öffentlichen Geldern gesehen als in der Veröffentlichung desselben, die den Neid, die eigentliche Antriebsfeder des Skandals, belebt.

Das hat nun ein konservativer Abgeordneter namens Anthony Steen laut ausgesprochen. Wie der Independant heute zitiert, sieht der 69Jährige die Wurzel des Skandals im Freedom of Information Act, der unter der Labour-Regierung auch in Großbritannien eingeführt wurde:

"Ich glaube, ich habe mich tadellos benommen. Ich habe nichts Kriminelles getan. Sie wissen, worum es geht? Eifersucht und Neid. Ich besitze ein sehr, sehr großes Haus. Einige Menschen sagen, es sieht aus wie Blamoral, aber es ist das Haus eines Großkaufmanns aus dem 19.Jahrhundert. Wir haben eine jämmerliche Regierung, die das System völlig beschmutzt hat und den Rücktritt von mir und vielen anderen verursacht hat, weil es diese Regierung war, die den Freedom of Information Act eingeführt hat und auf Dinge bestanden hat, die mich auf dem falschen Fuß erwischten."

Mit dem falschen Fuß sind Vorwürfe im Zusammenhang von Spesen in Höhe von beinahe 88.000 Pfund gemeint, die Steen für den Unterhalt seines Hauses in Devon reklamiert hat. Darin eingeschlossen ist die Pflege von 500 Bäumen auf seinem Grundstück. In dem Interview, aus dem der Independent zitiert, betont Steen nochmals, dass die Öffentlichkeit kein Recht habe, sich in diese privaten Dinge einzumischen:

"What right does the public have to interfere in my private life? None."

Obwohl der Abgeordnete, die für seine Eigenwilligkeit bekannt sein soll, eine Haltung öffentlich ausgesprochen hat, die nach Informationen der Zeitung in den Korridoren des Parlaments gang und gebe sein soll, musste er sich dem Druck der Führung der Tory-Partei beugen. Er nahm seine Aussaagen wenig später reuevoll zurück:

"I was so deeply upset with the situation, which resulted in me overreacting. I am sorry that in the heat of the moment I said inappropriate things... about the Freedom of Information Act, which I entirely support."

Ob dies etwas an dem Mißtrauen gegenüber den Parlamentariern ändert, ist freilich fraglich. Das dürfte auch für Premierminister Gordon Browns Ankündigung gelten, wonach eine neue Spesenordnung für Abgeordnete erstellt werden soll:

"Jeder Bürger kann sicher sein, dass ich das System komplett aufräumen werde."