Im Königreich des Mondes

Wes Andersons "Moonrise Kingdom"

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Die Filme des Amerikaners Wes Anderson (u.a. "The Royal Tennenbaums", "Darjeeling Limited") wirken immer ein wenig wie bewegte Puppenstuben. Ausstattung und quietschbunte Farben sind hier alles, die Schauspieler dagegen reduziert auf eher ausdruckslose - "puppenhafte" - Gesichter mit großen Augen. Die Filme des zunächst in Texas aufgewachsenen, seit Jahrzehnten in New York lebenden Anderson, könnten auch als Familienaufstellungen in Bildern beschrieben werden. Sie sind Zeitreisen, juvenile, immer ein bisschen pubertäre Phantasien und zugleich Trauma-Bewältigungen. "Moonrise Kingdom" eröffnete die Filmfestspiele von Cannes, seit verganger Woche läuft er im deutschen Kino.

Natürlich strotzt auch dieser Wes-Anderson-Film von den üblichen Manierismen dieses Regisseurs: Wie die Figuren bei Anderson allein schon immer gehen! Wie sie gucken! Dies ist eine Komödie, aber das Witzige soll gerade der Ernst sein, die Tatsache, dass sich alle ernst nehmen. Nun ja. Ansonsten die Gleichung: Sachlichkeit + Schnelligkeit = Absurdität.

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Alle Bilder: Tobis Film

Die erste Einstellung ist ein Wollbild, dann wandert die Kamera über ein riesiges Puppenhaus, das hier die Welt ist, streift die durchstochenen Wände. Ein Kind hat einen roten Bademantel an, betätigt einen tragbaren Plattenspieler. Auf der Platte läuft Purcell, genau gesagt Britton und Purcell. Alles ist Gelb Braun Rot in diesem Film, in Pastelltönen, kaum Grün. Kein Blau, außer der Plattenspieler, der darob um so mehr heraussticht. Drei Jungen spielen Tischtennis, ein Mädchen liest ein Kinderbuch: "Shelly and the secret universe". Später viele andere. Die es übrigens alle nur in diesem Film existieren. Man wünschte sich aber sie zu kennen, man glaubt fast, sie gelesen zu haben - so vertraut sind die Bilder ihrer Cover, die Titel: "The Francine Odysseys", "The Girl from Jupiter", "Disappearance of the 6th Grade", "The Light of Seven Matchsticks", "Return of Auntie Lorraine". Es sind Abenteuermärchen für Kinder - und die erste ästhetische Lektion, die uns Anderson hier erteilt ist: Auch dieser Film ist selbst ein Märchen.

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Zu Beginn erteilt uns Wes Anderson erst einmal noch weitere ästhetische Lektionen. Genauer gesagt zwei. Erstens: Design und Style ist alles. Zweitens: Um sich verständlich zu machen, muss das Kunstwerk sich selbst in seine Bestandteile zerlegen und trotzdem ein Ganzes bleiben. Das ist der Sinn der Britton-Bearbeitung eines Purcell-Stückes. Doch der Verweis auf Purcell hat noch einen anderen Sinn: Denn dieser Film, in dem Musik ungemein wichtig ist, eigentlich das Zentrum bildet, ist große Oper. Und zwar einerseits moralische Anstalt im naiven Sinn des 17. Jahrhunderts, andererseits im Sinne eines "Kraftwerks der Gefühle" (Alexander Kluge). Im Laufe des Films werden Blitze und Stürme zum Mittel des göttlichen Eingriffs in das Geschehen (für Agnostiker: des Schicksals) werden, wird man Hallelujah hören.

Schöne Bilder, schöne Musik, das ist natürlich schon mehr als die halbe Miete. Die Story erzählt eine romantische Amour-Four-Liebesgeschichte, die kaum einen kalt lässt, obwohl, oder weil sie sich unter Kindern ereignet: Kara Hayward und Jared Gilman spielen - ganz großartig - Suzy und Sam, zwei 12-Jährige, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Die beiden reißen aus und verstecken sich auf den Spuren alter Indianerpfade im Wald. So geht es dann darum, wie die Gesellschaft der Erwachsenen versucht, die beiden jugendlichen Ausreißer wieder einzufangen - mit den von Anderson gewohnt skurrilen Wendungen.

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Es geht aber auch um die Spiele der Kinder, die natürlich die der Erwachsenen sind. Es sind Sprachspiele, etwa in solchen schönen Dialogen zwischen Suzy und Sam: "Do you steal? Why?" - "Makes me feel in a better mood sometimes." - "Are you depressed?" Oder das Ohren-Stechen, um Suzy einen von Sam geschenkten Käfer-Ohrring aus Angelhaken einzustechen, natürlich ein Sinnbild für Entjungferung und archaische Formen der Inbesitznahme. Später dann fragt sie: "Do you know, how to french-kiss?" und sagt ihm: "You can touch my breast". Was Anderson hier macht, ist fast cheesy, eine Grenzüberschreitung, aber gerade noch erlaubt.

Anderson nimmt die Kinder ernst. Allerdings zeigt er das uns Erwachsenen, darum lächelt man dann doch ein wenig von oben nach unten herab. Es ist ein überaus leicht und heiter erzählter Film, dabei aber authentisch, und emotional. Weil das Ganze auch noch im Jahr 1965 spielt, kommt ein großer Schuss Zeitreisen-Nostalgie hinzu. "Moonrise Kingdom" beweist vor allem, dass Anderson, selbst ein großes Kind, und ein Nerd, wie er im Buche steht, am besten immer wieder und nur noch mit Kindern arbeiten sollte. Dies ist ein Kinderfilm für Erwachsene, dabei eben auch ein sehr erwachsener Kinderfilm.

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Die Welt der Familie wird der Welt der Gesellschaft (hier: Pfadfinder) gegenübergestellt, aber beide Welten bedeuten Zwangssysteme zur Dressur von Individuen. So erzählt "Moonrise Kingdom" von der Unbehaustheit, Ungeborgenheit des Einzelnen in Gruppe und Familie - "You are a traitor to your family." sagt einer zu Suzy, und sie gibt zurück: "Good! I wanna be."

Und dann ist es natürlich doch keine Abrechnung. Denn am Schluss ist die Gruppe gut und die Familie irgendwie auch, nur staatliche Institutionen taugen nichts, von wegen Elektroschocks und so. Anderson bleubt auch hier ein konservativer Nostalgiker, einer der Träume zu ernst nimmt. Und vor allem die falschen Träume. Für die Politik ist das fatal, fürs Kino kann es aber ein Segen sein.

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Vielleicht liegt das Geheimnis dieses Films aber auch ganz banal darin, dass "Moonrise Kingdom" unter der perfekt dekorierten Oberfläche doch mehr Substanz hat, als der Film selbst glauben machen möchte: Anderson schrieb das Drehbuch nicht allein, sondern mit Roman Coppola, dem Sohn des großen Francis Ford und Bruder von Sofia Coppola. Und in den besten Momenten des Films meint man das zu erkennen. Andererseits hat der auch schon "Darjeeling Limited" mitverzapft, und der war nun wirklich völlig substanzfrei.

Egal: "Moonrise Kingdom" ist ein sehr schöner Film und alles andere als nur "nett". Wer ihn sieht, sollte bis zum Ende des Nachspanns bleiben. Da gibt Anderson auch noch eine musikalische Lektion. Er demonstriert Alexandre Desplats Soundtrack wie zu Beginn die Brittons Purcells Kunst. Das ist so klug wie lustig - wie der ganze Film. Wer die genauen Musik-Credits lesen will, kann sie einstweilen hier nachlesen.

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Zu Tilda Swintons Schauspielstil scheint das allemal gut zu passen; gespannter ist man schon darauf, wie Bruce Willis, weiterhin der amtierende Actionkönig des amerikanischen Kinos die Herausforderung eines überaus gekünstelten, verkitschten Independent-Films meistert.