Iran: "Die große Prüfung"

Bei den heutigen Präsidentschaftswahlen deutet sich eine Rekordbeteiligung an; Ahmadinedschads Herausforderer Mousavi kritisiert Unkorrektheiten

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Als "große Prüfung" bezeichnete der Oberste Führer Irans Ayatollah Seyed Ali Khamenei die Wahlen, die heute in der Islamischen Republik Iran stattfinden. 46 Millionen Wahlberechtigte stimmen heute über vier Präsidentschaftskandidaten ab. Erste Nachrichten bestätigen, was nicht nur von westlichen Medien, sondern auch von iranischen Staatsrepräsentanten erwartet wird, eine Rekord-Wahlbeteiligung. Von langen Warteschlangen vor den Wahllokalen in Teheran berichtet zum Beispiel Al-Jazeera; manche Wahllokale sollen aufgrund des Andrangs bereits beantragt haben, ein paar Stunden länger geöffnet zu bleiben. Die Farbe Grün, die Farbe des Herausforderers Mousavi, die von Kameras gern eingefangen wird, besonders wenn sie von jungen Iranern gezeigt wird, regt viele Beobachter zur Hoffnung an, dass Ahmadinedschad vom aussichtsreichsten Gegenkandidaten Mirhossein Mousavi abgelöst wird (vgl. dazu "Ahmadinedschad muss weg").

Doch auch wenn der amtierende Präsident sich in Fernsehduellen, neu eingeführt bei diesem Wahlkampf, in der Öffentlichkeit durch maßlose Übertreibungen und Denunziation der Ehefrau des Herausforderers an Sympathien verloren haben soll und die auf die TV-Diskussion folgenden Massendemonstrationen mit viel leuchtendem Grün eine eindrucksvolle Anti-Ahmadinedschad Stimmung verbreiteten, ist ein Sieg des konservativ-liberalen Mousavi unsicher.

Ahmadinedschad kann, so heißt es vielerorts, auf ein größeres Reservoir an Stimmen von der ländlichen und ärmeren Bevölkerung bauen. Dass ihm in diesem Zusammenhang vorgeworfen wird, er mache Wahlkampf mit Geldschenken, ist relativ harmlos gegenüber dem Argwohn, dass die Wahlen durch Manöver von höheren Stellen manipuliert werden könnten. Bereits wenige Stunden nach Wahlbeginn beschwerte sich der Gegenkandidat Mousavi darüber, dass politischen Mitstreitern, die "die Stimmabgabe überwachen wollten", der Zugang zu Wahllokalen verwehrt wurde. Auch die Kommunikation untereinander sei von höherer Stelle gestört, beklagte Mousavi, das SMS sei von der staatlichen Telekommunikationsbehörde gesetzwidrig außer Funktion gesetzt worden. Infos via SMS hatten auch schon bei der letzten Wahl eine wichtige Rolle gespielt.

Ahmadineschad ging 2005 als überraschender Wahlsieger hervor. Während sich Teile der iranischen Blogosphäre darüber wunderten, dass keiner der von den Medien favorisierten Reformkandidaten gewählt wurde und dies zunächst mit einer irrtümlichen Extrapolation der Stimmung in Teheran und der Wünsche der dortigen Bevölkerung auf das ganze Land erklärten, wurde später das weitgespannte Netzwerk Ahmadinedschads in einer Art "tiefer Staat", von Angehörigen der Revolutionären Garden bis zur klerikalen Spitze, als Begründung für den Aufstieg des Newcomers angeführt. Doch wurde Ahmadinedschad sowie involvierten Staatseliten von Gegenkandidadten und anderen Oppositionellen auch dezidiert Wahlbetrug vorgeworfen (siehe dazu: Wahl-Coup in Iran?). Kolportiert wurde in diesem Zusammenhang auch der Vorwurf, dass ganze Lastwagen voller Mitglieder der paramilitärischen Garden vor Wahllokalen die Wähler eingeschüchtert hätten. Sollte die heutige Stimmabgabe keine eindeutige Mehrheit ergeben, so kommt es in einer Woche, am 17.Juni, zu einer Stichwahl, für die dem Herausforderer mehr Chancen eingeräumt werden. Die Ergebnisse der heutigen Wahl sollen im Laufe des morgigen Tages bekanntgegeben werden.

Mancherlei Hoffnungen des Westens auf einen neuen Präsidenten, mit dem leichter zu verhandeln wäre, werden von Beobachtern gedämpft, die zum Beispiel darauf hinweisen, dass Mousavi in der Frage des umstrittenen Nuklearprogramms Irans eine eindeutige Position hat: die der Fortführung des Programms, das er an verantwortlicher Stelle mit initiiert hat.