"Jeder, der aus dem Fenster schaut, riskiert eine Kugel"

Syrien: Baschar al-Assad setzt angeblich jetzt auch Kriegsschiffe gegen Oppositionelle ein

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Das syrische Regime setzt weiter auf massive Einschüchterung der Bevölkerung in Zonen, wo sich Widerstand und Dissens formiert. Latakia, die Hafenstadt unweit der Grenze zur Türkei, war seit vielen Jahren als liberaler Ort bekannt. Gestern hieß es, dass regimetreue Kräfte Latakia, namentlich die Viertel al Ramel al-Filistini und al-Shaab, von Kriegsschiffen aus unter Feuer genommen hätten, bereits am Samstag seien Panzer in die Stadt eingerückt. Die Meldung stammt von "Aktivisten", welche die Shock-and-Awe-Politik des Regimes gegenüber den oppositionellen Teilen der Bevölkerung anschaulich erklären:

"This is the most intense attack on Latakia since the uprising [began]. Anyone who sticks his head out of the window risks being shot. They want to finish off the demonstrations for good."

23 Personen sollen bei den Angriffen in Latakia ums Leben gekommen sein. Unabhängig bestätigen lässt sich diese Nachricht allerdings nicht, wie auch der Sender al-Jazeera betont. Von Angriffen von Kriegsschiffen aus auf ärmlichere Viertel am Meer, denen Angriffe durch Panzer und Sicherheitskräften folgen, berichten auch andere Quellen unter Verweis auf Augenzeugenberichte. Hinzugefügt wird, dass im al-Ramel-Viertel noch am Freitag Zehntausende demonstriert hätten.

Die offizielle Darstellung dementiert diese Berichte. Demnach seien die Sicherheitsbehörden von Viertelbewohner gerufen worden, weil Scharfschützen und schwer Bewaffnete die öffentliche Ordnung gestört hätten.

Am Wochenende erneuerten US-Präsident Obama und der saudische König Abdullah ihre Verurteilung der brutalen Niederschlagung der Proteste durch die syrischen Regimekräfte. Das gewaltsame Vorgehen müsse sofort gestoppt werden.

Auch Kuweit und Bahrain, das im Frühjahr durch seine gewaltsame Zerschlagung der Proteste weltweit für Empörung sorgte, schlossen sich zusammen mit dem Golf-Kooperationsrat (GCC) der Kritik des saudischen Herrschers an, der sich Anfang vergangener Woche mit einer deutlichen Erklärung gegen das syrische Vorgehen ausgesprochen hatte. Damit bestätigt sich, ganz offensichtlich im Fall Bahrain, eine Frontstellung und Lagerbildung in der größeren Region, die über das Interesse am Schicksal der uneinheitlichen syrischen Oppositionellen hinausreicht.

Eine wichtige Vermittlerrolle könnte Syriens Nachbar, der Türkei, zukommen. So hatte der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu vergangene Woche Baschar al-Assad besucht und bei manchem die Hoffnung ausgelöst, dass sich Baschar für Dialogversuche aus Nachbarländern empfänglich zeigen könnte. Auch aus Russland kamen zuletzt ebenfalls kritischere Worte. Das dürfte jedoch nicht für eine Verurteilung Syriens in einer UN-Resolution reichen. So bleibt Syrien ein Schauplatz sehr brutaler Auseinandersetzungen zwischen Regime und einer hartnäckigen Protestbewegung, ohne dass es absehbar zu einer eindeutigen Entscheidung kommen muss. Nachrichten über die verzweifelte Position Assads sind wahrscheinlich mit einer ähnlichen Mischung aus Wunsch und Wirklichkeit verfasst wie das bei vielen Berichten über Libyen und Gaddafi der Fall war/ist.

Auch die internationale Gemeinschaft verbleibt in einer Art Pattsituation. Man agiert mit Sanktionen, zu mehr will und kann man sich insbesondere nach den Erfahrungen in Libyen nicht entschließen. Dazu kommt, dass Syrien in einer sehr heiklen Zone liegt. So bleiben die Einflüsse der verschiedenen Seiten begrenzt und meist verdeckt. Die Konstellation der Lager, die sich um Syrien herum aufgebaut haben, kennt man aus dem kalten Krieg der USA gegen Iran in der Region. Es wird stark davon bestimmt, wie das jeweilige Verhältnis zu den USA und Iran aussieht.