Keine Chance für Sprechblasen

Foto: Ingo Trapphagen

Ungewöhnlich besetzte Podiumsdiskussion zur EU-Wahl an der TH Köln

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Eine Woche vor der EU-Wahl hatte AStA der Technische Hochschule Köln zu einer Podiumsdiskussion für Talkshow-Verhältnisse ungewöhnliche Gäste geladen. Statt das Podium nach dem üblichen Parteienproporz zu bestücken, bestand dieses zur Hälfte aus Vertretern von disruptiven Kleinparteien, die keiner Lobby und keiner politischen Farbenlehre verpflichtet sind, nämlich die beiden EU-Abgeordneten Martin Sonneborn (PARTEI) und Prof. Bernd Lucke (Liberal-Konservative Reformer (LKR)) sowie Marie-Isabelle Heiss (VOLT). Demgegenüber fehlten (nicht wirklich) auf dem Podium Grüne, Linkspartei, Piraten, FDP und AfD.

Vor allem die beiden EU-Abgeordneten sorgten dafür, dass die Vertreter von SPD und CDU mit dem Entleeren ihrer Sprechblasen kein Bein an die Erde bekamen. Wann immer die Genossen Claudia Walther und Prof. Karl Lauterbach für SPD-Positionen warben, hielten ihnen die beiden nunmehr erfahrenen EU-Parlamentarier Widersprüche zum Abstimmungsverhalten ihrer Partei vor. Auch das Relativieren der Militarisierung der EU ließ der vielleicht doch nicht ganz so faule EU-Abgeordnete Sonneborn den Sozialdemokraten nicht durchgehen und zeigte sich kämpferisch insbesondere gegenüber den von der SPD mitgetragenen Versuchen, Kleinparteien durch Wiedereinführung von Prozenthürden auszubremsen.

Mit angenehmer Sachlichkeit stellte Sonneborn auch die hilflose Propaganda des Prof. Heribert Hirte (CDU), der allen Ernstes den Studierenden der Technischen Hochschule aufzutischen versuchte, die neue Urherberrechtslinie induziere keine Uploadfilter. Lächerlich machte sich der promovierte Jurist Hirte durch seine technisch inkompetente Formulierung, Nutzer würden bei YouTube Inhalte "herunterladen". Der Christdemokrat, der sich mit angeblicher Expertise des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags herauszureden versuchte, wurde später aus dem Publikum gefragt, ob er sich seine E-Mails ausdrucken lasse.

Sonneborn ließ auch die Grünen nicht ungeschoren, deren ältere EU-Abgeordnete letztes Jahr mehrheitlich für Uploadfilter gestimmt hatten (Graue Grüne stimmen für Springerpresse-Uploadfilter, 2018). Die Studierenden ließen sich nicht ansatzweise mit der für debiles Stammpublikum der Volksparteien vorgesehenen Propaganda abspeisen. Die naive Rhetorik der Genossen, die Urheberrechtslinie würde den Künstlern nützen (und nicht etwa dem Axel-Springer-Verlag oder Frau Walthers Arbeitgeber Bertelsmann), erfuhr aus dem Publikum die verdiente Reaktion. Netzpolitisch hatten die SPD-Politiker erstaunlich wenig dazugelernt (SPD empfiehlt sich als "Netzpartei", 2014), die CDU offenbar gar nichts.

Auch die Versuche der Sozis, fundierte Sachargumente von Lucke durch dessen AfD-Vergangenheit zu diskreditieren, kamen bei den Studierenden eher schlecht an. Für seine Kritik etwa an der widersprüchlichen Haltung der SPD wurde Lucke häufig mit Applaus bedacht. Kurioserweise ergriff Lucke sogar Partei für die abwesenden Grünen und die Tierschutzpartei. Letztere habe sich etwa um den von allen anderen Parteien vernachlässigten Schutz der Kaninchen verdient gemacht. Kaum Verständnis erntete Lucke jedoch bei seinen Antworten auf das Sterben der Flüchtlinge im Mittelmeer, wobei allerdings die Vertreter der in der EU wirkmächtigen Parteien SPD und CDU auch wenig Glaubwürdigkeit beanspruchen konnten.

Was es mit der neuen europafreundlichen Partei VOLT und ihrer gewinnend auftretenden Kandidatin Heiss genau auf sich hat, blieb letztlich unklar. Es scheint sich um eine Art sympathische Neuauflage der Grünen zu handeln, die noch keine chemische Reinigung durch Lobby und Ämterpatronage erfahren hat.

Eine Aufzeichnung der ungewöhnlichen Begegnung etwa für YouTube hätte sich gelohnt. [UPDATE: Hier gibt es doch noch einen Mitschnitt.] Wenn Kleinparteien etwas Wichtiges zu sagen haben, wo Volksparteien vorwiegend Sprechblasen bieten, lohnt sich das Hinhören.

(Disclosure: Der Autor ist passives Mitglied der PARTEI.)