Lichtblicke oder Halluzinationen in Portugal?

Das Land ist in der schlimmsten Rezession seit der Nelkenrevolution 1974, doch sieht die OECD Zeichen der Hoffnung. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien erweist sich als Segen

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Die europäische Statistikbehörde Eurostat widerspricht Lichtblicken, die auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Portugal sehen will. Die Luxemburger Statistiker haben am Mittwoch festgestellt, dass im ersten Quartal 2013 das Bruttoinlandsprodukt (BIP) gegenüber dem Vorjahreszeitraum sogar um 3,9 Prozent geschrumpft ist. Das ärmste Land der Eurozone steckt in der tiefsten Rezession seit der Nelkenrevolution 1974, während Deutschland den Absturz in die Rezession, die nun auch Frankreich erfasst hat, durch ein Minimalwachstum um 0,2 Prozent knapp entging.

Optimismus?

Am Dienstag wurde in Paris eine von Portugal bestellte OECD-Studie über den Reformkurs vorgestellt. Die Ergebnisse interpretierte Ministerpräsident Pedro Passos Coelho so, als habe die OECD ein "Weiter so" gefordert. Die Organisation der führenden Industrie- und Schwellenländern habe Portugal "Optimismus" signalisiert. Optimismus sei gut für das Land, so der konservative Coelho, da die Krise die Portugiesen derzeit "am härtesten trifft".

Generalsekretär Angel Gurría lobte die "ehrgeizigen und mutigen" Strukturreformen Coelhos. Der kann das Lob gut gebrauchen, weil seine kriselnde Regierung sich immer mehr isoliert. "Portugal hat gemacht, was gemacht werden musste", sagte Gurría und forderte eine weitere Arbeitsmarktreform, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Das würde weitere Lohnsenkungen bedeuten, obwohl Portugal sogar den schmalen Mindestlohn schon auf 485 Euro gekürzt hat.

Gurría stellte gleichzeitig fest, dass sich in der Krise das Armutsrisiko in den OECD-Ländern erhöht hat und die Einkommensverteilung immer ungleicher wird. Zwischen den Jahren 2007 bis 2010 sei die Ungleichheit in der OECD stärker angestiegen als in den zwölf Jahren zuvor. Dabei wurden die beiden härtesten Jahre in Krisenländern bisher nicht berücksichtigt. So kritisierte die Caritas International kürzlich, dass in Portugal, Spanien, Griechenland und Irland immer mehr Kinder hungrig in die Schule kommen.

Extreme Arbeitslosigkeit

Dafür ist auch die extreme Arbeitslosigkeit verantwortlich. Sie ist in Griechenland und Spanien schon auf über 27% angestiegen. Lag die Quote in Portugal 2010 noch bei gut 10%, ist sie bereits auf knapp 18% explodiert und das reflektieren Gurrías Aussagen nicht. Zwar hat auch er die Schaffung von Wachstum und Arbeitsplätzen gefordert, aber wie das mit dem von ihm gelobten Sparkurs vereinbar sein soll, ließ er offen.

Als Coelho vor zwei Jahren an die Macht kam, trat er auf die Sparbremse. Das hatte ihm die Troika aus EU-Kommission, Internationalen Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB) beim Gang unter dem Rettungsschirm verordnet und das Land schmierte in die Rezession ab. In Paris gab Coelho zu, dass die Wirtschaft 2013 erneut um 2,3% schrumpft und in Portugal auch die Defizitziele erneut verfehlt werden. Sollte das Haushaltsdefizit schon 2012 auf 4,5% des BIP gesenkt werden, stieg es sogar wieder um zwei Punkte auf 6,4% und die Verschuldung ist auf sehr gefährliche 124% angestiegen. 2013 soll das Defizit in Portugal erneut 5,5% betragen, womit die Verschuldung auf deutlich über 130 Prozent steigen wird.

Eurostat hat am Dienstag in Portugal aber einen Lichtblick in der Produktion der Industrieunternehmen ausgemacht. Wie in keinem anderen Euroland ist sie im März mit 5,3% sogar am stärksten gestiegen. Aber auch das zeichnet ein verzerrtes Bild, weil die Energieproduktion enthalten ist. In Portugal hat die Stromproduktion aus erneuerbaren Energiequellen (EE) extrem zugenommen.

Die Produktion über Wasserkraft wurde gegenüber dem Vorjahresquartal um 312% gesteigert

Nach Zahlen des Netzbetreibers REN wurden zwischen Januar und März schon 70% über EE produziert. Dafür waren vor allem starke Regenfälle verantwortlich. Die Produktion über Wasserkraft wurde gegenüber dem Vorjahresquartal um 312% gesteigert. Doch auch die Windstrom-Produktion wurde um 60% gesteigert.

Der EE-Ausbau ist also ein Segen für Portugal, weil er erlaubt hat, dass im von Januar bis März 6% des erzeugten Stroms exportiert werden konnten. Im Januar und Februar stieg die Ausfuhr zum spanischen Nachbar um 72%.

Doch auch so konnte nicht verhindert werden, dass die Exporte im ersten Quartal gegenüber dem Vorjahr insgesamt um 2,8% sanken. Das ist alles andere als ein Lichtblick, da das Exportwachstum im Vorjahr angesichts eines einbrechenden Binnenkonsums einen tieferen Absturz verhinderte. Über den EE-Strom konnten aber teure Energieimporte vermieden werden. Die Produktion aus Kohle- und Gaskraftwerken ist um 29 und 44% gegenüber dem Vorjahresquartal gesunken, womit der Ausstoß des klimaschädlichen CO² deutlich verringert wurde.