Loslassen lernen

Neben der Spur

Bei all den netten digitalen Zerstreuungen, die uns jeden Tag die Zeit klauen, sollte man nicht vergessen: man kann damit abschalten, man kann sie aber auch abschalten.

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Wir sollten alle mehr abschalten lernen. Das sagen ja nicht nur unsere Meditationslehrer. Auch dem einen oder anderen Priester mag das schon über die Lippen gekommen sein. Zum Beispiel dem, der einen 23-jährigen russischen Zeitgenossen dabei erwischte, wie er Pokemon in einer Kirche mitten St. Petersburg spielte ... weil der es auch noch auf Video aufnehmen musste. Die Konsequenz: dreieinhalb Jahre Gefängnis auf Bewährung, hätte aber auch schlimmer kommen können. Vermutlich wäre die Partie Pokemon Go in einer russischen Zelle eher als reduziert zu bezeichnen. Zumindest wäre nicht allzu viel einzusammeln dort.

Loslassen eben. Wir sollten alle mehr loslassen und die digitalen Spielzeuge auch einmal ruhen lassen können, nicht?

Da wäre zum Beispiel Facebook. 55 Prozent aller aktiven Nutzer besuchen die Plattform mehrmals am Tag, 76 Prozent zusammengenommen mindestens täglich. Was läge da näher, als das dumme Ding einfach mal links liegen zu lassen, wie echte Freunde und echte Nachrichten außerhalb von Zuckerberg & Co. zu sehen. Hier steht zum Beispiel, wie man seinen Account einfach löscht und wieder das Tageslicht erreicht.

Es muss am Anfang schockartig sein zu erleben, dass echte Freunde nicht immer mit einem erigierten Daumen neben einem stehen und jede dämliche Äusserung gleich anderen Freunden weiterleiten. So merkwürdig vermutlich wie die Erkenntnis, dass eigentlich im wirklichen Leben nur sehr wenige Manga-inspirierte Comicfiguren in einer Kirche auf einen warten. Sieht man einmal von dem merkwürdig gekleideten Herren weiter vorne ab, der auffällig oft mit einer Hostie in der Gegend herum winkt.

Aber hat man erst einmal den Schock der echten Wirklichkeit überwunden und wieder in sein Leben integriert, kann das Leben eigentlich ganz schön und auch entspannt sein. Und mit einer solchen Loslassübung ist man einigen Menschen auf dem Planeten überlegen, vielleicht sogar einigen Staatsoberhäuptern. Wie dem, der immer noch glaubt, dass er US-Präsident ist. Anstatt sogar immer noch automatisch informiert zu werden, wann er oder andere Granden über eine Firma an der Börse salbadern, kann man sich zumindest selbst wieder dem aufkommenden Sommer widmen. Er sich vielleicht auch bald, sollte doch noch eine merkwürdige Verbindung zu russischen Kollegen herauskommen.

Vielleicht irrt sich das FBI aber auch nur, und Donald Trump war in Wirklichkeit nur in einer Kirche Moskaus unterwegs, um seine Runde Pokemon Go zu Ende zu spielen. Das klingt zumindest nicht weniger abenteuerlich als die Version, die sich abzeichnet.

So, nun aber abgeschaltet. Für heute.