Neue Kinderschutzdirektive der EU - wenig Einsicht und viel "Gewohntes"

Außer Kontrolle

In Strassbourg hat das Europaparlament die neue Kinderschutzdirektive beschlossen. Während eine Verpflichtung in Bezug auf Netzsperren glücklicherweise entfiel, fehlt in anderen Bereichen noch immer Einsicht.

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Eine Richtlinie zur "Besseren Bekämpfung von Kinderpornografie" hat das EU-Parlament, glaubt man den Medien, am 27.10.2011 beschlossen, ein "schärferes Vorgehen gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern". Was sich so vielversprechend anhört, entpuppt sich bei näherer Betrachtung jedoch als Richtlinie, die in erster Linie jene, die weiterhin Netzsperren als vernünftiges und wirksames Mittel gegen "Kinderpornographie" im Internet ansehen, als Sieg feiern werden. Vorrangig zu nennen ist hier Robert Angelilli, deren Steckenpferd die Netzsperren seit langem sind. Wie auch Ursula von der Leyen und Cecilia Malmström zeigte Roberta Angelilli bisher wenig Bereitschaft, sich mit der geäußerten Kritik an den Netzsperren zu befassen, sondern blieb bei der Ansicht, diese würden helfen, die "Kinderpornographie im Netz" zu bekämpfen.

Kinderpornographie - was ist das eigentlich?

Zu Recht wird der Begriff der Kinderpornographie oft bemängelt. Einige halten ihn in mancher Hinsicht für zu dramatisierend, andere für bagatellisierend. Wer hat Recht? Letztendlich beide, denn der Begriff ist mittlerweile schlichtweg verbraucht, was für Opfer sexueller Gewalt im Kindesalter eine fatale Wirkung hat. Weiterhin wird der Begriff in der Berichterstattung auch deshalb genutzt weil er zum einen schön kurz ist, zum anderen weil er auch in der Politik weiter genutzt wird.

Die Kürze eines Wortes trägt viel zur Einprägsamkeit bei, weshalb gerne in der Berichterstattung sowohl seitens der Politik, der Strafverfolgung als auch der Medien kurze, ggf. emotional besetzte Wörter genutzt werden. Bei den Medien ist dies letztendlich auch eine Frage des Layouts - im Interesse der Aufmerksamkeitsökonomie und des technisch vorgegebenen Platzes z.B. für Überschriften fallen Wörter wie "vermeintlich", "eventuell", "mutmaßlich" etc. oft weg und schaffen so Platz für eine wahrgenommene Realität, die mit der tatsächlichen wenig gemein hat. Dazu kommt, dass gerade beim Thema "Kinderpornographie" selten klar ist, um welche Art von Dateien es sich handelte, wenn es heißt "bei xy wurde Kinderpornographie in größerem Ausmaß gefunden".

"Kinderpornographie", so lautet die eine Argumentation, würde sexuellen Missbrauch an Kindern verharmlosen. "Pornographie" würde mittlerweile eher positiv besetzt sein und zudem setze sie eine Freiwilligkeit der Protagonisten voraus. Dies ist letztendlich bereits falsch, es gibt auch Filme, bei denen sich später herausstellte, dass die Protagonisten keineswegs freiwillig agierten. Auch die positive Beurteilung des Wortes an sich ist eher fraglich, Pornographie ist für viele weiterhin etwas, was Beziehungen zerstört, die "wahre Liebe" ebenso; was Menschen degradiert und als ekelerregend und amoralisch eingestuft werden sollte. Diejenigen, die das Leid der Opfer in den Vordergrund stellen, sprechen daher oft von "Dokumentation sexueller Gewalt", wobei auch das Wort Dokumentation oft zu klinisch wirkt. Abgesehen von den obigen Aspekten der Einprägsamkeit ist die Ansicht, das Wort "Kinderpornographie" könne durch "Dokumentation sexueller Gewalt" ersetzt werden, jedoch doppelt falsch: Zum einen geht es nur um Kinder, zum anderen beinhaltet die Kinderpornographie, von der die Politik spricht und die sie gesetzlich festzementiert, eine ganz andere.

Kinder, Kinder...

"Kinderpornographie" bezieht sich laut der beschlossenen EU-Richtlinie keineswegs nur auf Kinder, sondern auch auf Jugendliche, da sich in den Definitionen eindeutig wiederfindet, dass alle Personen unter 18 Jahren als Kind bezeichnet werden. Hier wurde bis heute nicht auf die Kritik eingegangen, die unter anderem auch vom Verein "Missbrauchsopfer gegen Internetsperren) (Mogis e.V.) geäußert wurde:

"Ehrlich gesagt finde ich die Definition Kind als 'jede Person unter 18' fragwürdig, zumal in der Definition Kinderpornographie in der Direktive auch Erwachsene mit kindlichem Erscheinungsbild und simulierte Handlungen enthalten sind. Es stellt sich die Frage, ob hier nicht eine erhebliche Rechtsunsicherheit was den Besitz zum Beispiel der Verfilmung der Blechtrommel oder ähnlicher Inhalte geschaffen wird." ( Christian Bahls, Mogis e.V.)

Der zweite Teil dieser Kritik bezieht sich auf die ebenfalls wässrige Definiton der "Kinderpornographie", die eben nicht nur die "Dokumentation tatsächlich erfolgter sexueller Gewalt" darstellt, sondern viel weitreichender ist:

c) "Kinderpornografie"
i) jegliches Material mit Darstellungen eines Kindes, das an realen oder simulierten eindeutig sexuellen Handlungen beteiligt ist;
ii) jegliche Darstellung der Geschlechtsorgane eines Kindes für primär sexuelle Zwecke;
iii) jegliches Material mit Darstellungen einer Person mit kindlichem Erscheinungsbild, die an realen oder simulierten eindeutig sexuellen Handlungen beteiligt ist, oder jegliche Darstellung der Geschlechtsorgane einer Person mit kindlichem Erscheinungsbild für primär sexuelle Zwecke oder
iv) realistische Darstellung eines Kindes, das an eindeutig sexuellen Handlungen beteiligt ist, oder realistische Darstellung der Geschlechtsorgane eines Kindes für primär sexuelle Zwecke;

Dies bedeutet nicht nur eine starke Rechtsunsicherheit, was den Besitz von legaler Pornographie angeht, es bedeutet vielmehr auch eine Bagatellisierung der Bilder, die tatsächlich sexuelle Gewalt gegenüber Kindern zeigen.

Wie sich die Rechtsunsicherheit auswirkt, zeigte sich beispielsweise am Beispiel eines Mannes in Puerto Rico, der Aufnahmen pornographischer Art dabei hatte (ein Pornofilm), als er nach New York weiterreisen wollte. Richter und Sachverständiger waren der Meinung, es handele sich bei der im Film mitspielenden Dame um eine Person unter 18, weshalb eine Haftstrafe bis zu 20 Jahre hätte verhängt werden können. Der Herr schaffte es jedoch, die Aktrice zu kontaktieren, die nach Puerto Rico flog und dort ihre Volljährigkeit nachwies, womit aus der Anscheinskinderpornographie dann völlig legale Pornographie wurde.

Auch in Bezug auf die virtuelle Kinderpornographie, auf Abbildungen, die mittels Computerprogrammen hergestellt wurden, ohne dass ein tatsächlich existierendes Kind involviert war, setzt die Richtlinie weiterhin auf dem Aspekt ab, dass die Strafverfolgung bei gut gemachten Bildern nicht unterscheiden könne, ob es sich um real existierende Kinder handelt oder nicht, weshalb dann schlichtweg beide Formen der "Abbildung" unter Strafe fallen.

"Es liegt im Ermessen der Mitgliedstaaten zu entscheiden, ob dieser Artikel in Fällen von Kinderpornografie gemäß Artikel 2 Buchstabe c Ziffer iii Anwendung findet, wenn die Person mit kindlichem Erscheinungsbild zum Zeitpunkt der Aufnahme tatsächlich bereits 18 Jahre oder älter war", heißt es lapidar. Wer sich die Diskussionen der letzten Jahre angesehen hat, der wird zu Recht befürchten, dass ein derart emotional besetztes Feld zu gesetzlichen Überreaktionen führen wird.

Löschen und Sperren

Vom Sperren von Seiten, die "Kinderpornographie" enthalten, hat die EU keineswegs Abstand genommen, vielmehr sieht sie dies weiterhin als sinnvoll an, wenn ein Löschen der Inhalte nicht möglich ist.

Die Mitgliedstaaten können Maßnahmen treffen, um den Zugang zu Internetseiten, die Kinderpornografie enthalten oder verbreiten, für die Internetnutzer in ihrem Hoheitsgebiet zu sperren. Diese Maßnahmen müssen in transparenten Verfahren festgelegt werden und ausreichende Sicherheitsvorkehrungen bieten, insbesondere um sicherzustellen, dass die Einschränkung auf das Notwendige beschränkt und verhältnismäßig ist und dass Nutzer über den Grund für die Beschränkung informiert werden. Diese Sicherheitsvorkehrungen schließen auch die Möglichkeit von Rechtsmitteln ein.

Zwar ist dies ein Fortschritt gegenüber der z.B. auch in Deutschland angewandten idee, Sperrlisten, die nicht einsehbar sind, durch das BKA erstellen zu lassen, jedoch sind die Kritiken, die die Sinnhaftigkeit und den Effekt von Netzsperren angehen, weiterhin wenig bis gar nicht angenommen worden.

Damit sind die Hauptkritikpunkte von den Protagonisten der Netzsperren weiterhin ignoriert worden. Zwar enthält die Richtlinie auch positive Bestimmungen hinsichtlich der Opferbetreuung usw, doch inwiefern sich die stark auf das Internet abzielende Richtlinie tatsächlich eignet, um sexuelle Gewalt zu bekämpfen, wird sich zeigen.