Patriots für die Türkei

Die Bundeswehr soll der Türkei Patriot-Raketen und Personal zur Verfügung stellen, um die türkische Grenze zu Syrien zu sichern

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Nach Informationen der SZ will die Türkei am Montag eine Anfrage an die Nato stellen. In dem Bericht heißt es, dass die Bundeswehr mit ein bis zwei Staffeln des Flugabwehrsystems Patriot samt einer Bedienungsmannschaft, die bis zu 170 Soldaten stark sein könnte, an der türkisch-syrischen Grenze eingesetzt werden soll.

Laut Bericht gibt es eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Bitte entsprochen wird. Vom Nato-Oberkommandierenden James Stavridis heißt es, dass er dieser Bitte "umgehend entsprechen" wolle. Es gehe nicht um einen Bündnisfall, so der Bericht, sondern um eine Hilfe bei der Landesverteidigung, über die der Nato-Oberkammandierende entscheiden kann. Aus der Bundesregierung, berichtet die SZ, gebe es etwa Aussagen von Verteidigungsminister de Maizière, die einer solchen Bitte gegenüber Entgegenkommen signalisieren. Von Bündnissolidarität ist die Rede und davon, dass der Einsatz - mit dem Vorbehalt "wenn man es machte" - nur dem Schutz der Türkei diene. Das wäre in der Auffassung desa Bundesverteidigungsministers "keinerlei Einmischung in den syrischen Bürgerkrieg".

Dem Regierungswechsel zuarbeiten

Das muss man nicht so sehen. Dem steht die Beobachtung gegenüber, dass die Türkei im syrischen Konflikt eigene Interessen verfolgt und der Bundeswehreinsatz an der Grenze die Interessenspolitik der Türkei untermauern würde.

Zwar wird von der türkischen Führung immer wieder ihre Rolle in der humanitären Hilfe betont. Es wird darauf hingewiesen, dass man eine kaum mehr zu bewältigende Menge an Flüchtlingen aufgenommen habe und diese versorgt und an der Grenze der Belastbarkeit angekommen sei. Die Schuld an dem Flüchtlingsstrom weist man einzig der harten kriegerischen Politik der syrischen Regierung zu. Die Gegner der syrischen Regierung, deren Anteil an der Eskalation des Konflikts weniger herausgestellt wird, haben in der Türkei einen Stützpunkt für ihre Organsiation bekommen.

Das kann man auch als humanitären Akt begreifen, ist aber ebenso eine politische Parteinahme. Die dazugehörige Positionierung, die Gemeinsamkeit mit der syrischen Opposition in der Forderung, dass Baschar al-Assad zurücktreten müsse, hat Ministerpräsident Erdogan deutlich geäußert. Die türkische Führung erhofft sich von einem Regierungswechsel in Syrien mehr Einfluss im Nachbarland.

So ist ihre schon mehrmals geäußerte Forderung nach einer Schutzzone, bzw. einem Schutzkorridor an der türkisch-syrischen Grenze nicht nur aus humanitären Motiven zu verstehen, sondern auch aus politischen Wünschen. Bislang hat sich die Nato bei dem heiklen Thema der Einrichtung einer solchen Schutzzone reserviert gezeigt. Das dürfte zum einen am Wahlkampf in den USA und dem Warten auf eine Richtungsentscheidung des amerikanischen Präsidenten gelegen haben; zum anderen aber auch an dem zu erwartenden Gegenwind aus China und Russland und einer kritischen Öffentlichkeit. Die Erfahrungen, wie die No-Fly-Zone in Libyen politisch instrumentalisiert wurde, sind noch ganz frisch.

Um die Notwendigkeit eines verstärkten Schutzes der türkisch-syrischen Grenze vor Augen zu führen, verweist die türkische auf die Angriffe auf türkische Grenzorte aus Syrien, die Anfang Oktober für internationale Aufmerksamkeit gesorgt haben und in der Türkei als Bedrohung herausgestellt wurden, auf die man scharfen Worten ( "Wir mögen den Krieg nicht, aber wir sind auch nicht weit davon entfernt") reagierte - und einem Parlamentsbeschluss, welcher der Armee militärische Operationen auf syrischem Gebiet erlaubte.

Dem stand allerdings eine militärische Harmlosigkeit der Angriffe gegenüber. Die Angriffe aus Syrien führten zum tragischen Tod einer Frau und vier Kindern, eine militärische Strategie war jedoch nicht auszumachen. Zudem war nicht klar, von wem die Granaten tatsächlich abgefeuert wurden und zu welchem Ziel. Der öffentlichen Sorge, dass die Kriegsgefahr an der türkisch-syrischen Grenze wächst, standen Fragen gegenüber, warum die syrische Regierung bzw. das syrische Militär ein Interesse daran habe, einen neuen Kriegsschauplatz aufzumachen, dazu mit einem solchen Gegner.

Gehalten hat sich in der öffentlichen Wahrnehmung, dass die Grenze gesichert werden muss, auch wenn es seit Wochen keinen Nachrichten mehr über schwerere Zwischenfälle gab. Das Szenario, dass dem Wunsch nach Patriots zugrunde liegt, ist spekulativ. Man will robust und effektiv darauf reagieren können, falls Syrien mit Raketen oder auch Flugzeugen angreift. Dies ist das Szenario einer Schutzzone, die mit dem Raketenabwehrsystem in die erste Phase ginge.

"Die syrische Opposition verlangt die Einrichtung solcher Zonen seit Monaten und erklärt, sichere Rückzugsgebiete in Syrien selbst würden Desertionen aus der syrischen Armee beschleunigen und so die Assad-Regierung unterminieren. Eine direkte militärische Intervention in Syrien ohne westliche oder arabische Unterstützung will Ankara aber unbedingt vermeiden – die indirekte Entstehung von Schutzzonen wäre deshalb durchaus im Sinne der türkischen Planer. Im gefährlichen Schachspiel in Nahost sind viele Winkelzüge möglich." Thomas Seibert, Ausweitung der Kampfzone

Wie auch immer die Szenarien, die dem Patrioteinsatz zugrundeliegen, ausschauen, die Annahme, dass für die Bundeswehr damit "keinerlei Einmischung in den syrischen Bürgerkrieg" verbunden ist, erscheint angesichts der Lage im Nahen Osten naiv. Bundeswehrsoldaten wären im Krisengebiet stationiert und doch nicht dabei?