Piratenjagd als neues Kriegsspiel

Bewaffnete Befreiungsaktionen gefährden Seeleute und Piraten

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"Kriegsschiffe machen den Indischen Ozean zur Todesfalle für Seeleute und Fische" urteilt Vaytenko Mikhail, Herausgeber des Maritime Bulletin.

Die Gefahr für Seeleute, auf dem Indischen Ozean von Piraten überfallen zu werden, liege unverändert bei 1 : 1000, die Gefahr, im Falle eines Piratenüberfalls bei militärischen Befreiungsaktionen verwundet oder getötet zu werden, sei indes um mehr als das Zehnfache gestiegen, so Mikhail. Das Militär erfreue sich offenbar an dieser Art der "Piratenjagd", da das Risiko für die Marinesoldaten gegen Null tendiere. Internationale Umweltorganisationen fordern, das Geld statt für militärische Operationen für die wirtschaftliche Entwicklung der Region auszugeben.

Am vergangenen Wochenende meldete der Weserkurier , der Frachter Beluga Nomination der Bremer Reederei Beluga Shipping sei etwa 800 Seemeilen vor den Seychellen gekapert worden, und es habe Tote bei einem Befreiungsversuch durch ein Patrouillenboot der Seychellen und der HDMS Esbern Snare gegeben. Die dänische Kriegsfregatte ist Teil der multinationalen EU-Operation ATALANTA "zum Schutz von humanitären Hilfslieferungen nach Somalia, der freien Seefahrt und zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias am Horn von Afrika im Golf von Aden". Die Rede war von einem toten Piraten und einem offenbar von den Hijackern aus Rache erschossenen Crew-Mitglied.

Laut Mikhail kursieren über diesen gescheiterten militärischen Befreiungsversuch verwirrende Informationen: Mal sei davon die Rede, nur das Patrouillenboot der Seychellen habe Schüsse abgefeuert, mal hieße es, beide Schiffe seien in den Schusswechsel verwickelt gewesen. Außerdem ist laut Mikhail von zwei getöteten Seeleuten und zwei getöteten Piraten die Rede. Bislang gibt es laut der Bremer Reederei keine aktuellen Informationen über die genauen Vorkommnisse auf der Beluga Nomination.

Einen Tag vor dem Vorfall auf dem Bremer Schiff "befreite" die koreanische Kriegsmarine den Tanker Samho Juwelry. der zu der norwegischen Reederei Acta Group gehört und für die südkoreanische Samho Shipping Company im Einsatz ist. Dabei wurden acht Piraten getötet und fünf festgenommen. Der Kapitän des Schiffes erlitt eine Schussverletzung – ob durch die Piraten oder die Kriegsmarine ist unklar.

Am vergangenen Freitag bracht die indische Kriegsmarine einen thailändischen Fischtrawler zum Sinken. Dieser war im April 2010 beim illegalen Thunfischfang gekapert worden, und diente Piraten im indischen Ozean als Mutterschiff, auf das sie sich nach einem missglückten Kaperversuch eines anderen Schiffes flüchteten. An Bord befanden sich 15 Piraten und die 20köpfige ursprüngliche Besatzung. Vier der Seeleute aus Thailand und Myanmar werden seither vermisst.

Das Risiko für die Seeleute und die Piraten bei diesem Kriegsspiel sei tödlich, schlussfolgert Mikhail. Die Statistik gibt ihm Recht: Allein in der Woche vom 21. bis zum 28. Januar 2011 wurden 12 Menschen getötet, 10 Piraten und zwei Seeleute, 4 weitere Seeleute werden vermisst und der Kapitän der Samho Juwelry wurde verwundet – womöglich durch "friendly fire" der indischen Kriegsmarine.

Insgesamt befinden sich derzeit laut der in Kenia angesiedelten Nicht-Regierungsorganisation Ecoterra International etwa 800 Seeleute in Somalia in Gefangenschaft. Die Organisation bemängelt, dass Milliarden US-$ für Kriegsflotten ausgegeben werden, um sie für das "Todesspiel" (deadly game) auszurüsten, während kein Cent investiert werde, um die Entwicklung der Küstenregion in Somalia voranzutreiben.