Piratenpartei auf der Suche

Letzte Woche fand die von der Hessischen Piratenpartei organisierte Tagung mit dem programmatischen Titel "Open Mind 2011" statt, was Telepolis so interessant fand, dass sie diese in einem Special dokumentiert

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Seit ihren überraschenden Erfolgen in Berlin und in den Umfragen, in denen die Piraten bundesweit schon ein zweistelliges Ergebnis erzielt haben, muss die Piratenpartei nach Wegen suchen, wie sie aus einer zunächst vor allem auf Internetthemen ausgerichteten Nischenpartei zu einer ernst zu nehmenden Partei im alltäglichen Geschäft werden kann und ob sie das will. Der Charme der Piratenpartei liegt wohl gerade darin, ideologisch noch offen zu sein, nicht zu allen Themen schon Fertiges zu sagen zu haben und noch keine Profis zu sein, die die üblichen Worthülsen von sich geben. Würde dies schnell zugunsten einer scheinbar "erwachsenen" Partei aufgegeben, würde die Blase wohl platzen.

Durch das Heranwachsen aus und in der Internetkultur hat die Piratenpartei bislang Prinzipien entwickelt, durch die sie nicht nur die bestehende Parteiendemokratie umkrempeln, sondern der demokratischen Öffentlichkeit und Willensbildung auch ein anderes Gesicht geben könnte. Noch ist die Piratenpartei wenig hierarchisch und eher netzwerkförmig organisiert, die Strukturen sind ebenso wie die Positionen im Fluss. Kein Wunder, dass "liquid" zu einem der Kernbegriffe geworden ist.

Ob das im alltäglichen politischen Geschäft, selbst als Oppositionspartei, durchzuhalten ist, wird abzuwarten sein. Spannend ist auf jeden Fall, welche Diskussionen in einer Partei geführt werden, die zwar nicht mehr nur "Bewegung" sein will, aber thematisch und organisatorisch möglichst offen sein will. Exemplarisch für die Lebendigkeit des Denkens, die in der Partei noch herrscht und von ihr gefördert wird, war die Open-Mind-Tagung der Hessischen Piratenpartei, die am letzten Wochenende unter dem paradigmatischen Motto: "Let's go exploring" stattfand.

Da ging es nicht nur um die Zukunft der Piratenpartei, sondern vor allem um Grundsätzliches einer Netzkultur, die politisch werden will oder sich gar als Avantgarde sieht. Wir von Telepolis fanden die Themen schon im Vorfeld so interessant - und natürlich auch zu Telepolis passend -, dass wir am Sonntag eine Auswahl der Vorträge veröffentlichen, weil wir denken, dass dies auch viele von unseren Lesern interessieren wird, die auch im Netz heimisch sind. Wir möchten uns bei den Autoren/Vortragenden und bei der Hessischen Piratenpartei, vor allem bei Julia Schramm und Christian Hufgard, für die Bereitschaft danken, mit Telepolis zusammen zu arbeiten.

Während auf den Podien die durchaus zentrale Frage "Autonomie durch Technologie?" diskutiert wurde, setzten sich Redner etwa mit dem Selbstverständnis auseinander, ein Programm der Offenheit zu realisieren. Das brachte Marcel-André Casasola Merkle auf den Punkt, wenn er sagt: "Wir sind Entdecker, keine Ideologen." Andreas Popp legt dar, warum Eigentum in digitalen Zeiten nicht "geistig" sein kann, sondern eine andere Grundlage benötigt. Julia Schramm macht deutlich, dass die Piraten keineswegs eine Männergesellschaft sind und dass die Genderfrage und der "Equalismus" auf der Tagesordnung stehen. Jörg Friedrich fragt sich, wie es um eine Demokratie steht, die auf dem Wahl-O-Mat basiert. Oder Michael Seemann etwa entwickelte in einem kühnen Wurf Thesen über die Postdemokratie und warum Hashtags und das technische Query technische Grundlagen einer neuen, höchst flexiblen und flüssigen Gesellschaftsform sein könnten.