Polen feiert neuen EU-Parlamentspräsidenten

Für den polnischen Regierungschef ein "erster Schritt zur Überwindung der Unterschiede zwischen dem alten und neuen Europa".

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„Dies ist ein historischer Moment.“ Mit diesen Worten begrüßte Martin Schulz, Fraktionschef der Sozialisten im Europäischen Parlament, die Wahl des Polen Jerzy Buzek zum neuen EU-Parlamentspräsidenten. Eine Aussage, die kurz nach der Wahl fast alle polnischen Nachrichtenportale zitierten.

Allein dieser Umstand zeigt, wie wichtig den Polen, die das Ereignis in vielen Internetportalen per Liveticker verfolgen konnten, die Wahl des ehemaligen Regierungschefs zum höchsten Parlamentarier der Europäischen Union ist. Dabei ist das Ergebnis der gestrigen Abstimmung keine besondere Überraschung. Bereits am 7. Juli zog der italienische Gegenkandidat Mario Mauro seine Kandidatur zurück, nachdem sich die konservative EVP mit der sozialdemokratischen PSE, die mit Mauro keinen Berlusconi-Mann wählen wollte, über die zukünftige Machverteilung im Parlament und der Kommission geeinigt hatte. Und die gestern gegen Buzek angetretene Kandidatin der Vereinigten Linken, Eva-Britt Svensson, war von Anfang an chancenlos.

Für polnische Politiker dennoch kein Grund, bei den vorhersehbaren 555 von 713 Stimmen für den 69-jährigen Buzek mit Superlativen zu geizen. „Das ist ein wichtiger Tag für Polen, ebenso wie für Europa, denn diese Wahl ist ein erster Schritt zur Überwindung der Unterschiede zwischen dem alten und neuen Europa“, erklärte in Warschau Premierminister Donald Tusk. Und nicht weniger begeistert äußerten sich andere Politiker in der polnischen Hauptstadt. Quer durch alle politischen Lager begrüßt man die Wahl von Jerzy Buzek und bezeichnet diese als einen Erfolg für das Land.

Dass sich aber die Regierung besonders euphorisch zeigt, hat aber nicht nur mit der Freude über den Erfolg eines Parteifreunds zu tun. Schon vor der Europawahl sprach sich Donald Tusk für den seit 2004 im EU-Parlament sitzenden Jerzy Buzek als Parlamentspräsidenten auf der europäischen Bühne aus. In den Wochen nach der Wahl betrieb Tusk hinter den Kulissen starke Lobbyarbeit für seinen Vorgänger, der zwischen 1997 und 2001 der polnischen Regierung vorstand. Und dies nicht nur, um in Brüssel einen prestigeträchtigen Posten für das Land zu erobern.

Wie vor zwölf Jahren, als der damals mächtige Wahlaktion Solidarnosc-Vorsitzende Marian Krzaklewski seinen Parteifreund Buzek überraschend zum Premierminister machte, um sich selber durch die Innenpolitik nicht die Chancen auf die Präsidentschaft zu verderben, soll der aus Oberschlesien stammende Chemiker in der Funktion des Parlamentspräsidenten eine wichtige Rolle auch in Warschau spielen und Tusk den Weg in das Präsidentenamt bereiten, zumindest symbolisch. Wie eine gestern veröffentlichte Umfrage des Meinungsforschungsinstituts CBOS ergab, ist Jerzy Buzek für die Polen der vertrauenswürdigste Politiker. Also der perfekte Mann, um dem Präsidenten Lech Kaczynski zuzusetzen.

Und dies dürfte vor allem in der Europapolitik geschehen. Der EU-Skeptiker Lech Kaczynski hat beispielsweise bis heute nicht den Vertrag von Lissabon unterschrieben, obwohl der Sejm ihn bereits am 1. April 2008 ratifizierte. Wie will Kaczynski diesen Umstand nun erklären, nachdem mit Buzek nicht nur der vertrauenswürdigste polnische Politiker zum EU-Parlamentspräsidenten gewählt wurde, sondern auch der Politiker, der bei den Europawahlen mit fast 400.000 Stimmen landesweit die meiste Zustimmung erhalten hat?

Der nationalkonservativen Recht und Gerechtigkeit, aus der Lech Kaczynski kommt, ist dieser Umstand bewusst. Vor der Wahl versuchten PiS-Politiker den Parlamentspräsidentenposten für Buzek herunterzureden, indem sie warnten, dass durch diese Wahl Polen wichtigere Posten innerhalb der Europäischen Union verloren gehen. Nach dem Erfolg Buzeks in Brüssel erinnerte die Partei an Buzeks verantwortungsvolle Funktion in der EU. „Die nächsten Jahre werden für Buzek eine schwierige Herausforderung. Denn von der einen Seite werden ihm Personen zuraten, eindeutige Positionierungen zu vermeiden, die den Eindruck erwecken könnten, er kümmere sich besonders um polnische Interessen, und anderseits werden bestimmte Situationen eine klare Haltung von ihm erfordern“, mahnte Pawel Kowal, EU-Parlamentarier der Kaczynski-Partei Recht und Gerechtigkeit.