Politgymnastik und Umfrageräucherstäbchen

Außer Kontrolle

Hach ja, die Netzsperrendiskution geht dem Ende zu und Unwissenheit, Sturheit und Phantasiezahlengeschwurbel ist eine unheivolle Allianz mit der Angst vor der falschen Bild in der Öffentlichkeit eingegangen. Und eine Umfrage sagt: alles okay, keine Panik.

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Ach ja, endlich ist Schluss mit den nerven- und zeitaufwendigen Diskussionen rund um die Netzsperren gegen Kinderpornographie und die seit Monaten an allen Fronten kämpfende Mutter Courage mit den sieben Kindern, die dem finnischen Netzsperrenregiment nachzieht, kann in den verdienten Zensurlaub gehen. Nein, keine fünfzig Brotlaibe waren es, die sie geschmuggelt hat, sondern im Planwagen mit dem Bildern der innerlich zerfetzenden, live vergewaltigten Kindern verbarg die Kreatur ihr hässliches Haupt, die durch die Länder wandert und sich - je nach Gusto, als "Retter der nationalen Sicherheit", Schutz vor Kinderpornographie, Bombenbauanleitungen, undemokratischen Umtrieben oder dergleichen mehr feiern lässt um bei der gemeinsamen Sause der Meinungs- und Informationsfreiheit den Schierlingsbecher anzubieten, dessen Inhalt vor selbstgerechter Zufriedenheit perlt und dessen Tulpe nur den bitteren Film der Grundrechtsverletzung verbergen soll.

Oh ja, Zensur hat viele Gesichter und so wie derjenige, der jeden Abend gemeinsam mit den Freunden seinem Chablis frönt und der die Cocktailparties, rotweingeschwängerten Vernissagen und sektseligen Feiertrage als Normalzustand nimmt, auf den rotnasigen Alkoholiker mit dem Tetrapack oder den kiffenden langhaarigen Freak (TM) herabsieht, so wird gerne auf die Zensur in anderen Ländern geschaut. Der vom Schreiben der Netzsperrungsbefürtungsargumente noch lahme Zeigefinger wird dann in eine Richtung ausgestreckt, ohne zu merken, dass zwar das Wort Zensur von einem fort, die "Einschränkung der Informationsfreiheit muss man in Kauf nehmen, wenn nur ein Kind dadurch weniger leitet", "Jugendschutz", "Bombenbauanleitungen müssen gesperrt werden" und "Wer will schon Naziseiten sehen? Wir wissen alle wie grausam Nazis sind"-Finger jedoch auf einen selbst weisen.

Ach, aber sollte vor dem Spiegel der Selbstherrlichkeit stehenden Mütterchen einmal das Bild nicht gefallen, so macht man sich heutzutage keinen Schlitz mehr ins Kleid, sondern kauft sich eine Umfrage und findet sich wunderbar. So ein Selbstbestätigungsräucherstäbchen vertreibt dann wenigstens auch den gammligen Geruch nach faul(end)er Ignoranz und heuchlerischer Pseudopolitik, deren Opfer die Kinder sind, für die dank der Priorität von Netzsperren, Umfragen und dem Kampf an allen Fronten kein Geld mehr da ist, um ihnen tatsächlich durch mehr Jugendamtspersonal, mehr Beratungsstellen usw. zu helfen.

Zeitgleich verursacht es ungläubiges Staunen, zu welche gymnastischen Hochleistungen die SPD noch fähig ist. Da versucht sich die Basis im "Extreme-bis-zum-letzten-Moment-warten", wenn es um den Schulterschluss mit den Zensurkritikern geht, ächzt sich durch stundenlange Therapien gegen Bild(er)angst, nur um dann beim Spätprotestieren gesagt zu bekommen, dass dieser Kurs leider durch den Kurs Schnellabnicken ersetzt wurde. Im Halbschlaf verharren, dann zu Boden gehen (siehe die Wahl) und trotzdem noch umfallen - das kann nicht jeder.

Mit dem "Kompromiss" zum Thema Netzsperren bekommt das BKA, das sich ungefähr so vertrauenswürdig gibt wie der schmierig lächelnde Klinkendrücker von Nebenan, die Macht, über die Seiten zu entscheiden, die von der Informationsfreiheit ausgenommen werden oder nicht. Ein Wissensentscheidungsmonopol in den Händen jener, die diese Hände zuletzt schützend über Handakten legten, die aufzeigten, dass das B in in BKA auch für Beweisfälschung stehen kann. Die Definitionsschwämme in diesem vorgeblichen Gegen-Kinderporno-Teich, dessen ekelige Brühe nach Dummheit und fehlenden Erkenntnissen riecht, werden wohl jedes Haftungswasser aufsaugen. "In der Regel" sind Anbieter davon zu unterrichten, dass ihre Seiten geblockt werden. Aber nur, wenn der Hoster mit "zumutbarem Aufwand zu ermitteln ist", bei Angeboten außerhalb der EU darf gleich geblockt werden (nicht, dass das BKA nachher überlastet ist und keine Zeit mehr findet, diejenigen zu überwachen, die die BKA-Webseiten besuchen... hups, das macht man ja nicht mehr, sorry). Mindestens einmal pro Quartal soll darf das Überprüfungsgremium in die Sperrlistenlostrommel greifen und dann heißt es "Hit oder Niete", denn eine Überprüfung der gesamten Liste ist nicht angedacht.

Ja, es ist ein fauler Kompromiss, ein Einknicken vor des Volkes Bild(zeitung) und dem ohne jedes Fachwissen und ohne Erkenntnisse geführtem Kampf einer blonden Frau, die während ihrer Zeit als Ministerin zumindest bisher eines bewiesen hat: wie es jemand schaffen kann, sich sämtlichen Argumenten zu verweigern, die Rabulistik neben der Mutterschaft als herausragendes Merkmal zu etablieren und den Weg frei zu machen für eine Zensurstruktur, die, sollte sie in einem anderen Land sein, von eben jenen kritisiert und als Schaden für die Demokratie angesehen würde, die nun die REttung der Kinder feiern.

Nein, keine Gefahr im Verzug ist es, die hier auf die Informationsfreiheit lauert. Diesmal ist es eine Gefahr im Hosenanzug - und sie ist noch nicht vorbei. Andere Gesetze, ähnlich argumentationslos eingebracht und ähnlich schädlich wie diese Initiative, warten bereits (siehe Kinderschutzgesetz). Und ähnlich wie auch die Deutsche Kinderhilfe, so wird sich Zensursel wieder in den Kampf stürzen und dabei den blondumzopften Kopf verlieren, wird sich in Scheingefechte stürzen und einen immensen Flurschaden bei den Grundrechten anrichten. Aber wenigstens ist dies eine Tätigkeit, bei der sie sich nicht mit Zahlen, Daten und Fakten, die einer Überprüfung standhalten würden, belasten muss. Oder bei der sie gar einmal vor Ort sein müsste um sich anzuschauen wie es Kindern in Deutschland geht, die (sexueller) Gewalt ausgesetzt waren oder sind. Denn vielleicht, nur vielleicht, müsste die blonde Heldin ihres eigenen "Für die Kinder"-Filmes dann mal ihre selbstherrliche (Gas)Maske fallenlassen und den traurigen Geruch von Kinderarmut und Bildungsproblemen einatmen. Wer will das der armen Ministerin schon zumuten?