Rettet der Fußball Schwarzgelb?

Wie Angela Merkel die schwerste Krise ihrer Amtszeit doch noch überstehen könnte

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Es muss für die Serben ein "innerer Reichsparteitag" gewesen sein, als sie im zweiten Gruppenspiel 1-0 gegen die deutsche Nationalmannschaft gewannen. Von "Blitzkrieg" und "Durchbruch gegen die deutsche Panzerlinie" war in der serbischen Presse die Rede, und ganz offensichtlich feierten da manche auch späte Rache für die antiserbische deutsche Parteinahme im jugoslawischen Bürgerkrieg. Oder für 1941. Oder für 1914. Wer weiß das schon?

Die Weltmeisterschaft lässt uns Regierungschaos und Schuldenkrise vergessen

Aber wie hat man umgekehrt eigentlich im bundesdeutschen Kanzleramt reagiert? Keine Frage, dass für die schwarzgelbe Regierung die Weltmeisterschaft mitten in ihren Chaostagen gerade recht kam. Auch kann man leicht den Eindruck gewinnen, Angela Merkel hätte die Verkündigung ihres Sparpakets Anfang Juni ganz geplant kurz vor Beginn der Fußball-WM gelegt. Welche Opposition wollte in diesen Tagen schon erfolgreich zu Massenprotesten aufrufen?

Die Massen hocken zuhause vor dem Fernseher oder draußen vor den Großleinwänden und auf den Fanmeilen; allenfalls Zehntausende sah man bei den Demonstrationen gegen Merkels Politik. In den zurückliegenden zehn Tagen konnte man beobachten, wie das Konzept aufging: Die Weltmeisterschaft lässt uns die Sparpolitik, das Regierungschaos und die Schuldenkrise vergessen.

Aber so war das schließlich schon von alters her: "Panem et circenses", Brot und Spiele. Man kennt das Rezept: Durch Gladiatorenkämpfe und Wagenrennen und nur durch sie ließ sich im antiken Rom das Volk im Zaum halten. Heute heißt es stattdessen "Kurzarbeit und Fernsehfußball", doch das Grundmuster ist unverändert: Je knapper das Brot, desto mehr Spiele. Da ist sie also wieder die "spätrömische Dekadenz" (Guido Westerwelle). Nur geht sie eben von oben, von den Herrschenden, aus: Herrschen durch Ablenken. Nur: Wie lange lassen wir uns ablenken? Nur so lange, wie die deutsche Mannschaft im Turnier bleibt?

Merkel setzt auf Schützenhilfe durch die die DFB-Truppe

Nach der schlichten Theorie müsste der Kanzlerin nach dem erfolgreichen WM-Auftakt des DFB-Teams dann am vergangenen Freitag das Herz in die Hose gesunken sein. Denn man weiß es ja: Spielt eine Nationalmannschaft erfolgreich, nutzt das der Regierung, denn die gesamte Stimmung im Lande verbessert sich ( Der Einfluss der WM auf die Börsenkurse). Spielt die Mannschaft aber schlecht, droht der Frust der Fans schnell in Regierungsfrust umzuschlagen.

Insofern ist die Politik auf Hilfe des Sports angewiesen, was Merkel schon 2006 für sich zu nutzen suchte ( Merkel-Regierung entdeckt die WM). Kommt sie aber dann auch, kann ihr das viel nutzen. In den vier Wochen des Großereignisses Fußball WM 2006 hat die seinerzeitige Regierung in großer Verschwiegenheit wichtige Gesetze erlassen, wie die Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent. Setzt Merkel auch beim Sparpaket- Schleusenmanöver auf Schützenhilfe durch die DFB-Truppe?

"Die Tore auf dem Fußballfeld sind die Eigentore der Beherrschten"

Merkel und ihr Hofstaat können allerdings gerade durch die Niederlage des DFB-Teams gegen Serbien hoffen. Denn was bislang vielleicht zuwenig bedacht wurde, ist zum einen das - gewiß irrationale, aber eben bislang zutreffende - Gesetz der Serie: Bei jedem WM-Turnier, bei dem es für das deutsche Team in der Vorrunde eine Niederlage setzte, kam das deutsche Team bislang ins Finale: 1954, 1974, 1982, 1986. Zweimal wurde man Weltmeister.

Nicht weniger wichtig ist aber ein ganz praktischer Vorteil: Vorausgesetzt die Deutschen qualifizieren sich am Mittwoch für das Achtelfinale nicht als erste Mannschaft ihrer Gruppe, sondern als zweite, warten die "leichteren" Gegner. Und auf Argentinien mit der ohne Frage bislang besten Mannschaft des Turniers träfe man nicht bereits im Viertelfinale, sondern erst im Halbfinale.

Die Chancen für Angela Merkel vor den zwei entscheidenden Wochen ihrer Amtszeit stehen also bestens: Vielleicht wird sich später zwar keiner mehr daran erinnern. Vielleicht werden aber auch Historiker einmal schreiben, dass Lukas Podolski und Mesut Özil Angela Merkel die Kanzlerschaft gerettet haben. Es gilt also weiterhin, was Gerhard Vinnai einst in seinem Standardwerk "Fußballsport als Ideologie" geschrieben hat: "Die Tore auf dem Fußballfeld sind die Eigentore der Beherrschten."

Wenn die Deutschen am Mittwoch allerdings ausscheidet, dann Gnade Gott für Schwarzgelb. Wetten dass? So hätte auch das Schlechte sein Gutes.