Schüler streiken für Flüchtlinge

Gewerkschaften sehen das als praktischen Unterricht zum Zwecke der politischen Bildung

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Manche Schüler ließen heute den Unterricht ausfallen. Statt Vokabeln oder Mathematik zu pauken, demonstrierten sie gemeinsam mit Studierenden für die Rechte von Flüchtlingen. Am Ende versammelten sich mehr als 2.000 Menschen vor dem Roten Rathaus zur Abschlusskundgebung. Natürlich seien es weniger Teilnehmer als bei Schülerprotesten, bei denen es um bessere Klassenräume und mehr Lehrer geht, räumte eine Schülerin ein. Aber sie sieht es als großen Erfolg, dass so viele Schüler und Studierende für die Rechte von Flüchtlinge einsetzen. Die Aktion war seit Wochen in verschiedenen Berliner Schulen in extra gegründeten Streikkomitees vorbereitet worden.

Inspiration aus Hamburg

Der Vorschlag zu dem Streik stammt vom Anfang Dezember 2013. Damals kochte die Diskussion über die Zukunft des Refugees-Camps am Berliner Oranienplatz hoch. Medien und konservative Politiker forderten die schnelle Räumung. Die Bezirkspolitik in Berlin-Kreuzberg lavierte hin und her. Der Berliner Innensenator stellte dem Bezirk ein Ultimatum. Ab dem 18. Januar 2014 würde die Landespolitik reagieren und die Räumung einleiten. Mittlerweile ist dieses Ultimatum vom Tisch. Doch die Aktion wurde trotzdem vorbereitet. Damals wollten die Schüler damit deutlich machen, dass es nicht nur einen Diskurs der Abgrenzung gegen Flüchtlinge in der Gesellschaft gibt.

"Wir haben uns vom 12. Dezember in Hamburg inspirieren lassen. Nach einer großen Protestbewegung für Menschen, die über Lampedusa geflüchtet waren, gab es dort einen Schulstreik mit bis zu 5000 Teilnehmern. Diese Aktion hat die Bewegung gestärkt und die Schüler politisiert", erklärt ein Aktivist in einem Interview.

Tatsächlich ist im letzten Jahr in Hamburg eine große gesellschaftliche Bewegung entstanden, die die dort gestrandete Flüchtlinge vor der Abschiebung schützte. In Berlin schienen dagegen lange Zeit die Gegner des Flüchtlingscamps den Diskurs zu bestimmen. Das zeigten die Bilder im letzten Herbst, als einige Geflüchtete kurzfristig in einen Hungerstreik vor dem Brandenburger Tor traten, als dorthin Tausende zur Eröffnung des alljährlich stattfindenden Lichterfest kamen. Die Unterstützer der Flüchtlinge waren hingegen in dieser Zeit kaum zu sehen.

Den gesellschaftlichen Diskurs verändern

Der heutige Streik soll denn nach den Willen der Beteiligten auch nicht der Schlusspunkt, sondern der Beginn einer Solidaritätsbewegung mit den Geflüchteten werden. Schon in der Vorbereitung war die Unterstützung groß. So hat sich die Berliner Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft ausdrücklich mit den Streikenden solidarisiert.

"Wir sehen das Engagement als ein Zeichen von Zivilcourage, das wir unterstützen. Wir rufen die Schulen auf, den Schulstreik als praktischen Politikunterricht zum Zwecke der politischen Bildung zu verstehen und gegen Teilnehmende keine Sanktionen vorzunehmen", erklärte die Berliner GEW-Vorsitzende Sigrid Baumgardt. Die GEW ist auch in anderen Regionen in Sachen Schüler und Zivilcourage aktiv.

So lehnt die GEW Hessen den hessischen CDU-Landtagsabgeordneten Hans Jürgen Irmer als Ansprechpartner für die Bildungspolitik ab, weil der immer wieder durch Äußerungen am rechten Rand Schlagzeilen macht. Damit unterstützt die GEW die hessische Landesschülervertretung, die ebenfalls einen Dialog mit Irmer ilungen/467-pm-hessens-schuelervertretung-spricht-nicht-mit-hans-juergen-irmer ablehnt. Der war trotz Protesten von der hessischen CDU-Fraktion wieder zum schulpolitischen Sprecher gewählt worden.

Gewerkschaftliche Unterstützung für Flüchtlinge

Auch die Berliner DGB-Jugend hat sich mit dem Schüler- und Studierendenstreik solidarisiert. Daneben haben auch zahlreiche Mitglieder unterschiedlicher Einzelgewerkschaften einen eigenen Aufruf zur Unterstützung der Flüchtlinge formuliert.

Dort setzen sich die Gewerkschafter für das uneingeschränkte Recht auf Asyl und Bleiberecht, das Recht auf Bewegungsfreiheit und ausreichend Wohnraum für die Flüchtlinge, kostenlose Sprachkurse und tariflich bezahlte Arbeit für alle, die arbeiten wollen und können, ein. Eine weite Forderung ist das Recht auf politische Betätigung. Unklar ist, warum in dem Forderungskatalog nicht explizit eine Gewerkschaftsmitgliedschaft unabhängig vom Aufenthaltsstatus erwähnt wird.

Schließlich haben diese Forderungen vor wenigen Wochen Gewerkschafter gestellt, nachdem es bei ver.di zu einem Streit über die Aufnahme von Geflüchteten in der Organisation gekommen ist.