"Seine eigenen Kleider auffressen und Hilfe schreien"

Regieanweisungen für Clement

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Ja, er habe in der SPD Nordrhein-Westfalen "besonders liebevolle Gefährten", sagte Wolfgang Clement heute morgen im Bayerischen Rundfunk. Natürlich war das nicht wörtlich zu nehmen, sondern ironisch. Ansonsten war Clement zu keinem Spaß bereit in der Frage, wie es mit ihm und der SPD weitergeht. Dem Mahner, so die Rolle, die sich Clement für das Sommertheater gewählt hat, dünkt Schlimmes.

Das Schicksal der SPD könnte nach dem Wort von Clement "Schismatik" heißen, gemeint ist Spaltung, und das Schicksal ihrer Wähler Irreführung - durch "Fantasterei", betrieben von Hessens SPD-Granden Ypsilanti und Scheer: Es sei unverantwortlich, so warnte Clement im Radio, "auf eine sichere Energiequelle zu verzichten" - gemeint ist die Atomkraft - und genau das müsse in diesem Verfahren "ausdiskutiert" werden.

Eine clevere Wendung von Clement in der laufenden "Tragikkomödie" (so seine Bezeichnung für das SPD-Theaterstück), sie soll zeigen: Es geht dem aufrechten Parteimitglied keinesfalls um seine persönliche Zukunft. Das Ausschlussverfahren Clement verweist auf Überpersönliches und Größeres: die SPD und die Zukunft Deutschlands. Sicher sind beide nur, wenn sie auf Atomkraft setzen und die Finger von der "linken Kaderpartei" (Clement) lassen.

Der morgendliche Auftritt von Clement bestätigte zugleich die spannungstechnischen Grenzen einer Transzendenz, die den Energieberater Clement zum Mittelpunkt hat. Das Stück bleibt prinzipiell bieder - trotz einiger schneidiger Ansätze wie eben den Rauswurf Clements.. Doch dann kam unerwartete dramaturgische Rettung aus dem Dunkel des Boulevard, die Textentdeckung des Tages – Clement soll nicht länger den einsamen querköpfigen Mahner spielen, der für alle geopfert wird, die für eine bessere Zukunft mit der "vernünftigen" Atomenergie eintreten. Nein, Clement soll einen einsamen Wolf spielen, der von SPD-Energiefachleuten nur mit Pulli, aber ohne Fleischwurst und Bier im Kalten allein gelassen wird:

"Jemanden ausschließen heißt ja, dass wir ihn erfrieren lassen. [...] Er soll ziellos herumirren. Im Freien leben wie ein Penner oder ein abgemagerter Wolf. Er soll die Einsamkeit anheulen, den Mond. Er soll seine eigenen Kleider auffressen, mit offenen Mund "Hilfe" schreien. [...] Sie wollen ihn nicht mehr haben. Sie wollen, dass er draussen erfriert. Ich würde ihm meine Tür öffnen. Ich würde dem hungernden Clement Bulletten, Fleischwurst, Bier und alles geben, was ein SPDler gerne isst. Einen Menschen zu verstoßen, ist für mich, wie eine Blume zu zertreten." Franz Josef Wagner