This is a journey into sound

Außer Kontrolle

Statt Politkram mal eine musikalische Rundreise (Teil 1)

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Unbegreiflicherweise bekam ich heute als Einzugsgeschenk Diors „Poison“. Wie auch immer derjenige darauf kam, ich könnte etwas für teures Parfum übrig haben – der Flakon ziert jetzt das Badezimmer. Dabei ist Parfum neben Pralinen und echtem Schmuck etwas, was mich noch weniger interessiert als DSDS (wird noch getoppt von toten, sprich abgeschnittenen Blumen).

Dennoch ist der Name einfach hübsch - und glücklicherweise gab es noch einen Comic dazu, was schon eher meinem Geschmack entspricht. Poison... da brach dann doch meine Leidenschaft für Musik durch, und nach all dem "Politikkram" dachte ich, es wäre einfach mal hübsch, eine kleine "Journey into sound" zu starten, wie es schon bei *Paid in full* von Eric B. und Rakhim hieß.

Ich denke, wir beginnen bei Poison und enden dort auch, okay? Kaum hielt ich nämlich, leicht irritiert, den Flakon in meinen farbverschmierten Händen, fielen mir die Weathermen ein. Die unwiderstehliche Susanna Stummer, die schon dem Schlagzeuger das Leben schwer machte und nun zum nächsten Opfer wechselte, Bruce Springsteen Platten zerkratzte (sehr zum Vergnügen des Opfers – was tut man nicht aus Liebe), die dann mit einer Umweltkritik vermengt wurde... zu den Zeiten, als es noch auf FFN anderes als „das Beste der 80er, 90er und heute“ gab, war es für mich eine Offenbarung, nachts den „Grenzwellen“ von Ekki Stieg zu lauschen. Dort konnte ich dann Fields of the Nephilim entdecken oder auch Lacrimosa. Gerade die Fields mit ihrem „ich bin gerade zwanzig Tage geritten“-Look und den mehlbestäubten Staubmänteln ließen die pubertäre Phantasie in unendliche Weiten voller Sonnenuntergänge in der Wüste reisen.

Die Weathermen fanden sich dann auf einem Mixtape aus England, zusammen mit Big Man Restless von „Kissig the Pink“, deren Certain things are likely für mich seitdem zur „Schlechte Laune Vertreib“-Musik schlechthin geworden ist.

Und beim Anblick der Knetmännchen im „Big Man Restless“-Video dachte ich an Barbapapa und die Sesamstraße und landete prompt bei den Smart E´s, die damals, genau wie Urban Hype mit „Trip to Trumpton“, auf einen Zug aufsprangen, der von Liam Howlett und seiner Crew gestartet wurde, auch bekannt als „(The) Prodigy“. Charly wurde wegen dieser Sogwirkung ja arg gescholten - „Toytown Techno“ lautete damals der Name für diese Art Musik, die Technomusik mit Samples aus populären Kindersendungen verband.

Christopher Howell, der hinter den Smart E´s (was sich sowohl auf die beliebten Schokotaler, wie auch auf die Droge Ectasy bezog – wie z.B. auch der Song Everything starts with an E von E-Zee Possee steckte, war später als Luna-C oder Cru-l-t bekannt, nicht zu verwechseln mit Cool-T und One T. Mc Kinky hatte übrigens zwar manchmal hübsche Stiefelchen an, die Kinky Boots wurden aber nicht von ihr gepriesen, sondern von dem wohl elegantesten Agentenpaar aller Zeiten: Honor Blackmann und Patrick McKnee von den „Avengers“ (Mit Schirm, Charme und Melone).

Prodigy, deren „Charly“ und „Out of space“ ich nicht wirklich überragend fand (nett zum Tanzen, aber irgendwie zu poppig), rissen mich eher mit Stücken wie Their law zu Begeisterungsstürmen hin. Apropos poppig - bei „Their law“ wirkte Clint Mansell mit, auch als Clint Poppie bekannt, der Sänger der Band „Pop will eat itself“, die mit Stücken wie There is no love between us anymore Popmusik und Samples verknüpften und bei Can you dig it das beliebte Namedropping auf die Spitze trieben.

We dig TV we dig remote control,
We dig the Furry Freak Brothers and the Twilight Zone,
We dig Marvel and D.C.,
we dig Run-DMC, We dig Renegade Soundwave and AC/DC
(Can U dig it?)

//www.youtube.com/watch?v=1ztZ7WFo3nw Knock on wood Sample]

CHORUS
Bruce Wayne auf wiedersehn,
Dirty Harry, "Make my day,"
Terminator, hit the north,
Alan Moore knows the score,
Riffs? Yeah! Can U dig it?
Riffs? Yeah! Can U dig it?

We dig Optimus Prime and not Galvatron
We dig "The Leader of the Pack" and the "Do-Run-Run"
Spinderella and Bruce Lee
"The Bad and the Ugly"
"V for Vendetta" and "Into the Groovy"

Der Name „Pop will eat itself“ wurde übrigens aus einem Bericht über eine Band namens „Jamie Wednesday“ entliehen – der New Musical Express, der Wortspielereien liebt, suchte sich diesen Titel aus, der von den damals noch „The Wild and Wandering“ heißenden PWEI übernommen wurde. Jamie Wednesday war natürlich eine kleine Verbeugung vor Ruby Tuesday, doch es sollte nicht bei dem Bandnamen bleiben – wenngleich auch Ruby Tuesday noch ein anderes Mal Erwähnung fand bei jener Band.

Und noch ein Bekannter fand sich bei „Pop will eat itself“: Miles Hunt, der dann seine Band „The Wonderstuff“ gründete, die mit eingängigen Songs wie It´s yer money I´m after, Baby in Großbritannien erfolgreich waren. In Deutschland wurde weniger Notiz genommen von den britischen Next big things, die der NME stetig ankündigte und die Phantasien mit Photos von dem androgyn wirkenden Brett Anderson und anderen anheizte, die blassgesichtig und mit offenem Hemd die Hüften kreisen ließen.

Für Liebhaber bot sich damals, als auf MTV noch Musikvideos gespielt wurden, „120 Minuten“ an, mit wechselnden Moderatoren (Hosts), unter anderem Paul King oder Jarvis Cocker.

PWEI wurden später zu einer der „Politbands“ Großbritanniens. Zusammen mit Fun-da-mental (feat Propaghandi) nahmen sie den Titel Ich bin ein Ausländer auf und reihten sich damit in die lange Liste der Bands ein, die wie beispielsweise Chumbawamba vor kontroversen Themen nicht zurückschreckten, im Gegenteil. Bei Georgina von Chumbawamba dürfen Cineasten und Musikliebhaber gleichermaßen auf ihre Kosten kommen: nicht nur ist die Szenerie dem Film Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber entlehnt, am Anfang des Songs ist auch das „Is she really going out with him“ zu hören, das von „Leader of the Pack“ gesampelt wurde.

Danach arbeiteten PWEI mit Apollo440, Trenz Reznor und (!) Renegade Soundwave zusammen. Und, nicht zu vergessen, mit The Orb, die viele leider lediglich durch Little Fluffy Clouds kennen, die aber ein grandioses Stück namens „A huge ever growing pulsating brain that rules from the centre of the ultraworld“ zu bieten haben (unter anderem).

Alex Patterson, das „Mastermind“ hinter The Orb, arbeitete gern auch mit KLF (Jimmy von den KLF zeichnet mitverantwortlich beim vorgenannten Titel) zusammen. KLF, oder die JAMS, bleiben mir wohl durch zwei Dinge unvergessen: die Zusammenarbeit mit der bezaubernden Tammy Wynette und ihr mehr als anarchischer Auftritt mit Extreme Noise Terror, inclusive Platzpatronen versprühender Krücke und einem geschlachteten Schaf, welches auf der Treppe zurückblieb, versehen mit einem Zettel: I died for you, bon appetit.

Extreme Noise Terror, oder ENT, lernte ich zusammen mit Napalm Death durch den unvergessenen John Peel kennen, bei dem ich erstmals mit The Fall, von ihm liebevoll "The Mighty Fall" genannt, in Berührung kam. Das im Text der PWEI (Can U dig it) erwähnte Hit the North, welches von Frank Sidebottom wunderbar parodiert wurde, stammt ursprünglich von The Fall und war das erste Stück von The Fall, das ich bei John Peel hörte - was dann endgültig meinen Musikgeschmack veränderte.

Das Schöne an den Songs von The Fall ist, dass man sie auf unendliche Weise interpretieren kann. Mark E. Smiths Cut-Up-Texte, die mich immer an Clara Drechslers Artikel in der SPEX erinnern, sind für jegliche Assoziation offen. Die SPEX... in ihr las ich das erste Mal von den Sugarcubes. Aber Zuckerwürfel waren es nicht, die ich wegen eines britischen Rappers kaufte - es waren Hustenbonbons. Ca. 40 Rollen Lockets und Tunes landeten einst in meiner Reisetasche, weil Mc Tunes in Wirklichkeit Nicki Lockett hieß ;) Und auch der Besuch bei Eastern Bloc Record durfte nicht fehlen, um einmal 808 State live zu sehen.

Ooops - ich schätze, diese kleine musikalische Reise dauert fürs Erste lang genug. Im zweiten Teil dann mehr über Songs mit Frauennamen, bissige Terrier und heiße Schokolade.

Twister