Touristen, Nöte und Plünderer

Ägypten: Die Schäden in den Antikensammlungen sind enorm

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Hinter der Forderung nach Demokratie stehen in Ägypten elementare Bedürfnisse. Den Bürger treiben Lebensmittelpreise, teure Zigaretten und die kleinen und großen Einschränkungen der Freiheit auf die Straße. Die gesellschaftliche Strukturierung außerhalb elitärer Großstädter- und Finanzelite-Zirkel ist orientiert an religiöser und familiär gebundener Zusammengehörigkeit, die kaum ein Konzept von Demokratie kennt. Die Nöte sind realer Natur: teure Nahrung, keine Chancen auf Arbeit, eine Jugendschwemme mit einer Jugend, die schlecht ausgebildet ist und prinzipiell mehr Träume als Platz in der Gesellschaft hat.

Für einen Pauschaltouristen, der relativ sparsam lebt, ist es nicht unüblich, für ein Mittagessen im Restaurant locker den Monatslohn eines einfachen Soldaten auszugeben. In teureren Lokalen nimmt oft das gegebene Trinkgeld solche Beträge an. Ihrer finanziellen Kraft unbewußt, vergegenwärtigen sich die meisten Touristen auch nicht, wo sie sich befinden. Halbnackt und besoffen die Straße von der Strandbar zurück zum Hotel zu laufen, gehört in Ägypten einfach nicht zum Verständnis von "Anstand".

Das Regime hat darauf in der einzig möglichen Weise reagiert und den Tourismus kanalisiert. Dazu gehört der Konvoi-Zwang, der bisher nur auf Hauptstraßen zu bestimmten Zeiten abgeschafft ist. Die Touristenpolizei ist dafür zuständig, dass keinem Touristen etwas passiert. Die Strategie ist, den Pauschaltouristen so weit wie möglich vom Volk abzuschirmen. Touristen kommen nur mit einem Kreis eingeführter "touristengewohnter" Business-People zusammen, die sozusagen für die Folklore im Urlaub zuständig sind. Wie stark die Trennung ist, kann nur erfahren, wer den Fängen der Tourismuswirtschaft mal entfliehen konnte und dann in einem wirklich einheimischen Restaurant landet, in dem seit mindestens 10 Jahren kein Tourist mehr war. Da bekommt man nach Karte dann ein wirklich gutes Menü aus Fleisch, Beilage, Salat, Brot und Getränk für zwei Personen zum Preis einer Schachtel Marlboro auf dem Touristenschiff.

Hier versteht man dann auch z.B. den Hass auf die Polizei: das sind die, die "einfache" Leute von der vermeintlichen Goldgrube Tourismus fernhalten. Leute, die plündern, sind auch nicht nur einfach "Agents Provokateurs", sondern Leute, die in ihrer verzweifelten Lage durch das Chaos der Proteste ihre Chance sehen.

So funktionieren auch die Plünderungen des Ägyptischen Museums und der archäologischen Stätten im Land. Nun mag beim Ägyptischen Museum tatsächlich Provokation im Spiel gewesen sein. Mubaraks innerem Führungskreis ist das allerdings nicht unbedingt anzulasten, eher unteren Ebenen, die sich für die Zeit nach Mubarak noch schnell etwas besorgen wollten und der Vandalentruppe im Grunde Zugang zum Museum verschafft haben.

Die ehemalige Museumsdirektorin Wafaa el-Saddik. Saddik ist mittlerweile auch primär von Gerüchten und überfärbten Berichten abhängig. Der gestohlene Schmuck, der z.T. immer noch als Gerücht herumgeistert, war z.B. nicht antik, aber in der Gerüchteküche "pharaoni", sprich, wie wir es nennen würden "ägyptisierend", da der Schmuck aus dem Andenkenladen vom Museum gestohlen wurde, nicht aus der Ausstellung.

Die Schäden sind dennoch enorm. Hier eine kleine Aufstellung der bekannten, wirklich schlimmen Schäden:

Ca. 13 Ausstellungsstücke im Ägyptischen Museum sind kaputt gegangen. Dazu gehören wahrscheinlich zwei Statuen aus dem Tut-Anch-Amun-Fund.

Zwei Mumien sind beschädigt worden. Vermutlich beide, aber zumindest eine, der Großeltern von Tut-Anch-Amun. Diese Mumien waren extrem gut erhalten. Beide wurden wohl geköpft.

Das Museum und die Lager des Museums in Memphis sind ausgeplündert. Das Haupt-Ausstellungsstück (eine Monumentalstatue) werden die Plünderer kaum mitbekommen haben, aber im Museum selbst waren einige kleinere Stücke ausgestellt und was im Magazin war, kann vermutlich keiner sagen.

Saqqara ist abgesehen von den Zentral-Magazinen und dem Museum (beides von der Armee beschützt) geplündert und beschädigt worden. Alle Gräber wurden geöffnet und Magazine ausgeraubt. Zudem wurden Raubgrabungen vorgenommen.

In Alexandria gab es Angiffe auf Museen. Mit viel Glück wurde eventuell z.B. das Nationalmuseum durch ziviles Engagement beschützt. Die Bibliothek wurde von Studenten und Mitgliedern der Protestbewegung beschützt.

Ein Magazin des Port-Said-Museums wurde geplündert. Dort ist wohl ein Lastwagen mit bewaffneten Männern vorgefahren, um die Antiken abzutransportieren. Horemheb, Pepi I-Pyramide und alles rundherum ist aufgebrochen, beschädigt und geplündert worden.

Die Kommunikationsverbindungen nach Ägypten sind schlecht. Personen, die Genaueres wissen könnten, sind nur schlecht zu erreichen. Es ist wahrscheinlich, dass die bekannten Beschädigungen nur ein kleiner Teil des wirklichen Ausmaßes sind.