Türkischem Star-Pianisten droht Haft wegen Twitterns

Der international renommierte Fazil Say soll Kurzbotschaften verfasst und retweetet haben, die ein Istanbuler Staatsanwalt als blasphemisch wertet

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Es gibt Länder, da haben Urheber ganz andere Probleme als die Monopolrechte ihrer Verwerter: In der Türkei zum Beispiel wurde eben der Pianist Fazil Say, den die französische Tageszeitung Le Figaro als einen der "großen Künstler des 21. Jahrhunderts" einstuft, wegen Blasphemie angeklagt. Der 42-Jährige soll nämlich Tweets verfasst und weitergeleitet haben, die ein Istanbuler Staatsanwalt als justiziabel erachtet. Allerdings sind die bislang in türkischen Medien verbreiteten Beispiele dafür eher theologische Fragen als plumpe Beleidigungen.

So soll er sich zum Beispiel öffentlich gewundert haben, warum die islamische Paradiesvorstellung ausgerechnet mit Wein und willigen Weibern lockt – wie auf Erden die Wirtshäuser und die Bordelle. Ein anderer Tweet soll sich darüber wundern, warum "Narren oder Diebe" an Gott glauben – und ob dies ein religiöser Widerspruch ist. Und ein dritter dreht sich angeblich um scheinheilige Gebetsrufer, die ihren vorgegebenen Text vielleicht deshalb so hastig absolvieren, weil geistige Getränke auf sie warten könnten. Was Say tatsächlich getwittert und retweetet hat, ist allerdings nicht mehr feststellbar, weil die Tweets mittlerweile gelöscht sind und der Musiker sich auf Anraten seiner Anwälte nicht mehr öffentlich zu dem laufenden Verfahren äußert.

Sollten bei dem nun angesetzten Prozess, der ab dem 18. Oktober stattfindet, auch Richter zu dem Ergebnis kommen, dass es sich bei solchen Fragen um Straftaten handelt, dann drohen dem Pianisten bis zu eineinhalb Jahre Haft. Voraussetzung dafür ist jedoch auch, dass der international begehrte Musiker der Türkei bis dahin nicht den Rücken kehrt. Bereits in der Vergangenheit hatte er öffentlich gemacht, dass er mit dem Gedanken spielt, ein Angebot aus Japan anzunehmen, weil er sich in seiner Heimat unter der religiös-autoritären AKP-Regierung und ihrem Kurs gegen Kritiker zunehmend weniger wohl fühlt. Davor waren unter anderem investigative Journalisten festgenommen und der Besitz eines Buches über eine mögliche Unterwanderung von Polizei, Justiz und Behörden durch eine Islamistensekte für strafbar erklärt worden.