Überall lauert der Schmerz

Das Schmerzmittel Paracetamol soll gegen Ausgrenzung und verletzte Gefühle helfen

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Die Erforschung der Zuständigkeit von verschiedenen Hirnregionen treibt immer neue Blüten. Schon 2003 veröffentlichten Forscher im Magazin Science ein Experiment, mit dem sie zeigen konnten, dass Ablehnung durch andere Menschen physische Schmerzen erzeugen kann: Fühlen wir soziale Kälte sind die gleichen Hirnregionen aktiv, als wenn uns körperliche Schmerzen zugefügt werden. Basierend auf diesen Ergebnissen will eine Studie nun bewiesen haben, dass das bekannte Schmerzmittel Paracetamol gegen solche soziale Ausgrenzung hilft.

Gesunde Studenten nahmen drei Wochen lang täglich Paracetamol, eine Kontrollgruppe nur einen Placebo ein. Jeden Tag wurden die Gruppen gefragt, ob ihre Gefühle heute verletzt worden wären oder ob sie sich ausgegrenzt gefühlt hätten. Im Laufe der Zeit fühlte sich die Paracetamol-Gruppe besser und berichtete immer weniger von verletzten Gefühlen. Analog dazu waren auch die 2003 entdeckten Hirnregionen weniger aktiv.

An dem Experiment sind gleich mehrere Dinge aufschlussreich: Wie so oft ist unklar, welche Ko-Faktoren bei der Optimierung der Studenten eine Rolle gespielt haben können. Entscheidender aber ist der Versuch, mentale Problemlagen per Pilleneinwurf aufzulösen. Wäre der Versuch mit einer neu entwickelnden Substanz durchgeführt worden, müsste man sich auf eine groß angelegte Werbekampagne des Herstellers gefasst machen, stünde doch ein Mittel zur Verfügung, die Mitglieder der Gesellschaft gegeneinander abzupuffern. Da die Patente auf Paracetamol aber abgelaufen sind, werden mögliche größere Gewinne für ein einzelnes Unternehmen ausbleiben.

Ähnlich positiv wäre das Experiment wahrscheinlich auch mit Alkohol oder anderen Drogen verlaufen. Die kurzfristige Zerstäubung oder langfristige Betäubung persönlicher Schieflagen durch psychoaktive Substanzen hat Tradition. Dass nun das weltweit gebräuchlichste Schmerzmittel in die Riege der Psychopharmaka aufzusteigen droht, zeigt wieder einmal, wie bereitwillig zur Zeit innere Befindlichkeit und zwischenmenschliche Kommunikation pathologisiert und in einem zweiten Schritt nach schnellen Lösungen für das vermeintliche Problem gesucht wird.