Unruhen in Westchina

Zahlreiche Tote bei Zusammenstößen verschiedener ethnischer Gruppen und nach polizeilicher Repression

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140 Menschen sind bei Unruhen in Urumqi, der Hauptstadt von Chinas autonomer Region Xinjiang getötet worden, berichtet die in Hongkong erscheinende South China Morning Post unter Berufung auf die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua. Die Zeitung zitiert unterschiedliche Angaben über die Größe der Proteste. Die staatliche Zeitung China Daily spreche von 300 bis 500 Teilnehmern, was angesichts der an anderer Stelle beschriebenen Ausmaße der Zerstörungen untertrieben erscheint. Die Uygur American Association spreche von 3000 Protestierenden. Urumqi hat 2,3 Millionen Einwohner.

Xinjiang, das im Norden an die Mongolei, im Westen an die zentralasiatischen Republiken und im Süden an Afghanistan und Pakistan angrenzt, wird mehrheitlich von den Uiguren bewohnt, die kulturell wenig mit der großen Mehrheit der Han-Chinesen gemeinsam haben. Die Uiguren sprechen ein Turksprache und sind, sofern religiös eingestellt, meist Moslems. In den letzten Jahren hat die rohstoffreiche Region einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung genommen, der die seit langem bestehenden Spannungen jedoch nicht vermindert hat.

Nach einigen Berichten, die sich schlecht überprüfen lassen, fühlt sich ein Teil der Einheimischen durch die chinesische Zuwanderung an den Rand gedrängt. Dazu passen auch die Beschreibung der Unruhen in China Daily wonach 203 Geschäfte und 14 Wohnhäuser zerstört oder geplündert wurden.

Die Zeitung zitiert eine junge Frau aus der Hui-Minderheit. Die Huis sind chinesische Moslems, die über das ganze Land verteilt in kleineren und größeren Enklaven leben. Sie sprechen die jeweiligen chinesischen Dialekte und unterscheiden sich von den Han-Chinesen nur durch ihre Religion. Dennoch werden sie in China als ethnische Minderheit angesehen. Sie sind die Nachfahren von Chinesen, die im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit den Islam von arabischen Händlern annahmen, die einen schwunghaften Warenaustausch mit Chinas Südprovinzen pflegten. Mitunter ist es in den vergangenen Jahren in zentralchinesischen Regionen zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen han-chinesischen Dörfern und solchen der Huis gekommen, die meist von der Mehrheitsbevölkerung ausgingen. Während den gewalttätigen tibetischen Protesten im Frühjahr 2008 waren oft Hui Opfer der Aggression, da viele sich als private Händler betätigen.

Die junge Frau berichtet nun davon, dass junge Uiguren auf offener Straße ältere Passanten angegriffen und zusammengeschlagen hätten. Die Zeitung schreibt, vermutlich mit Bedacht, nichts darüber, welcher Ethnie die Opfer angehörten. Die Polizei reagierte offenbar mit äußerster Härte auf die Unruhen, aber wie viele der 140 Toten und über 800 verletzten darauf zurückzuführen sind und wie weit es sich um eher pogromartige Vorfälle gehandelt hat, ist bisher nicht zu sagen. Die South China Morning Post zitiert einen scheinbaren Augenzeugen aus dem chinesischen Staatsfernsehen, der gesehen haben will, wie mehrere Han-Chinesen mit Messern angegriffen und verletzt wurden.

Auslöser der Unruhen war nach Angaben der chinesischen Medien Unzufriedenheit darüber, wie staatlich Stellen im Juni auf einen Zusammenstoß zwischen Uiguren und Han-Chinesen in einer Fabrik in Shaoguan in der südchinesischen Boom-Provinz Guangdong (grenzt an Hongkong) reagiert haben. Bei dem Streit zwischen Arbeitern waren zwei Uiguren ums Leben gekommen. Xinjiangs Gouverneur Nur Baikeli warf uigurischen Exilorganisationen vor, diesen Vorfall ausgenutzt zu haben, um die Stimmung anzuheizen. Diese wiesen das laut South China Morning Post zurück.

Nachtrag:

Die South China Morning Post schreibt, dass die Behörden den Internetverkehr aus Urumqi versuchen würden zu unterbinden. Außerdem würden alle Berichte über die Unruhen so weit wie möglich gelöscht oder blockiert. Dennoch dringt offensichtlich über YouTube, Twitter und Flickr manches nach außen, so dass die staatlichen Medien die Vorfälle nicht verschweigen können. Hier gibt es bei China Digital Times eine Stelle, wo Berichte gesammelt werden. Dort gibt es auch Stimmen, die davon sprechen, dass es zunächst friedliche Proteste gegeben habe, die erst durch das Eingreifen der Polizei in Gewalt umschlugen.

Folgendes Zitat, das China Digital Times bei Twwitter gefunden hat, gibt einen gewissen Eindruck von dem Verhältnis der ethnischen Gruppen zueinander:

    虽然从小生活在新疆,我也有过汉族的民族优越感,而这种优越感可能使我对维族和其他少数民族产生心理歧视,原来没意识到,一直到自己看见这类民族冲突引发的暴力事件,才发现自己思想的狭隘,才意识到“民族自治”的真正意义。

    “Although I lived in Xinjiang since I was little, I also have felt a sense of Han superiority, and this sense of superiority may have made me discriminate against Uighurs and other minorities. Originally I wasn’t even aware of this until I saw these types of violent ethnic conflicts, and then I discovered the narrowness of my own thinking, and became aware of the true significance of ‘ethnic autonomy.’”